Immer wieder samstags (Immer wieder ...) (German Edition)
den Kopf. »Dämlicher Penner«, murmelte er. Und wieder verging eine ganze Weile, in der er irgendeinen Punkt außerhalb des Wagens betrachtete. »Sie hatten mich natürlich beobachtet«, fuhr er irgendwann unvermittelt fort. »Und sie stellten den kleinen Psycho direkt, während er heimlich im Mädchenklo am Kacken war.«
Ich betrachtete seine Hände, die sich zu festen Fäusten geballt hatten. Sie bebten, als würde dahinter jede Menge Kraft stecken. »Lena, so hieß ihre Anführerin, meinte, für das Vergehen müsse ich bestraft werden. Entweder das oder sie würden mich beim Direktor melden und ich käme in den Kinderknast …« Mit einem Mal klang er nicht mehr monoton, eher verzweifelt. »Ich hatte ihnen das abgekauft, naiv, wie ich war, und wollte nicht in den Knast! Ich ...«
»Was haben sie getan?« Nur mühsam konnte ich meine Wut beherrschen. All das, was mir während der vielen Jahre als Idiotin der Schule widerfahren war, konnte sich nicht mit dem messen, was sie diesem kleinen Jungen angetan hatten. Und zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal die Hälfte. Eilig blinzelte ich die Tränen weg. Nicht jetzt, das würde auch nichts ändern. Ich versuchte, einen seiner Finger zu berühren, doch er nahm sie geistesabwesend beiseite und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu wiederholen. Es war kaum mehr als ein Flüstern: »Was haben sie getan?«
»Was denkst du denn?«, wisperte er heiser. »Ich tat es! Ich fraß meine eigene Scheiße, und kann sie noch heute schmecken. Das werde ich niemals vergessen, niemals! Sie verlangten von mir, dass ich meinen heißgeliebten Schulranzen, auf den ich so stolz gewesen war, damit beschmierte, was ich auch tat. Fuck, ich hätte mich sogar selbst angepisst, wenn sie danach nur gegangen wären. Ich hätte alles gemacht!
Als meine Mutter angerufen wurde, um mich abzuholen, war sie mit den Nerven bereits am
Ende, noch bevor sie in der Schule ankam … Sie fand mich in den Toilettenräumen, zusammengekrümmt in einer Ecke. Ich ließ keinen an mich ran. Dabei wippte ich wie in Trance vor und zurück und murmelte nur: ´Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will nicht´.
Ihre tröstend ausgestreckte Hand schlug ich weg und begann zu schreien. Ich schrie, weil sie mir nicht geholfen hatte, weil sie mich nicht beschützt hatte und konnte mich nicht mehr beruhigen. Stundenlang hörte ich nicht auf, alles musste raus. Der Arzt sagte meiner Mutter, ich hätte ein Trauma davongetragen und es wäre eine Langzeittherapie nötig, um dies zu verarbeiten. Trotzdem sei nicht garantiert, dass ich jemals wieder der Alte werden würde. Natürlich wurde zur Sicherheit gleich die Dosis der Pillen erhöht und ich bekam eine Breitseite Beruhigungsmittel.
Wir zogen um und ich kam an eine neue Schule. Dort war es nicht viel besser. Obwohl … Scheiße musste ich da keine fressen. Kann natürlich auch daran liegen, dass ich niemals wieder auf ein Mädchenklo gegangen bin. Man lernt ja aus seinen Fehlern.«
Ich ignorierte das flaue Gefühl in meinem Magen, während in Tristans Augen wieder die Emotionen tobten. Statt tiefstem Hass und Abscheu sich selbst gegenüber fand ich nur noch Resignation. Sein Blick fesselte meinen, ich zuckte allerdings zusammen, als er überraschenderweise so unpassend zu seinem Ausdruck mit wütender und fester Stimme seine Geschichte fortsetzte.
»Meine Mutter brachte sich an einem Dienstagmorgen um. Laut Leichenbeschauer, der sie später untersuchte, saß ich da gerade im Zeichenunterricht und malte den Baum in unserem Garten. Ich weiß noch, die Sonne schien und der Himmel war wolkenlos. Als ich nach Hause kam, schickte mich Dad nach unten in den Keller, um ein paar Konserven zu holen, denn der Kerl kann einfach nicht kochen. Scheiß Dosenfraß, ich hasse das Zeug bis heute ...«, zwei Minuten später ein heiseres Wispern, »... ihre Zunge, Mia … ihr Gesicht war komplett blau angelaufen ...«, eine Minute später, »…die Augen ... ich habe noch nie so große Augen gesehen ...«, drei Minuten später …
»Sie hinterließ lediglich einen Abschiedsbrief, den ich so oft gelesen hab, dass ich jedes einzelne Wort auswendig weiß«. Als hätte er ihn vor Augen, begann er:
» ´Es tut mir unendlich leid, dass ich keinen anderen Ausweg mehr weiß und euch verlassen muss. Ich bin zu schwach, zu unfähig und habe als Mutter versagt. Es schmerzt mich so sehr, dass ich das Gefühl habe zu ersticken. Tagtäglich verliere ich mich mehr und finde nicht die
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