Immorality Engine
ihr
anscheinend wirklich zu, und so fuhr sie fort: »Warten Sie doch mal ab, wie es
läuft. Lassen Sie sich ein paar Tage Zeit. Sie müssen zugeben, dass Sie einen
Helfer im Haus durchaus brauchen können, und
wenn er auÃerdem über Ihre Exzentrizitäten im Bilde ist, umso besser.«
»Exzentrizitäten, ja?« Vergeblich versuchte er, sie böse anzusehen. Seine Augen verrieten ihn. Er war
amüsiert, weil sie so unverblümt mit ihm redete.
»AuÃerdem«, fuhr sie fort, »ist er meines Wissens ein ganz
ausgezeichneter Koch.«
Veronica fuhr fast aus der Haut, als sich hinter ihr jemand
räusperte.
»Das lieà man mich in der Tat
wissen, Miss Hobbes, obwohl ich das Urteil darüber gern Sir Maurice
überlassen würde.« Newbury und Veronica blickten überrascht auf. Scarbright war
während ihrer kurzen Unterhaltung unbemerkt aus der Küche zurückgekehrt und
hatte ein Tablett mit Teetassen und Untersetzern mitgebracht. Er stellte es auf
die Anrichte. »Earl Grey?«
Er war ein eleganter groÃer Mann von Mitte vierzig und trug einen
makellosen schwarzen Anzug mit Fliege und die weiÃen Handschuhe eines vornehmen
Butlers. Die dunklen, an den Schläfen bereits ergrauten Haare waren glatt
zurückgekämmt. Sein Schnurrbart krümmte sich an den Spitzen nach oben. Damit,
so dachte Veronica, sah er so aus, als lächelte er ständig.
Newbury stand ein wenig verunsichert auf. »Ja. Danke, Scarbright.
Vielen Dank.«
»Sehr wohl, Sir.« Er schenkte zwei Tassen ein. »Ich dachte, zum
Abendessen gibt es Wild, Sir. Dazu Rührkartoffeln
und Gemüse. Wäre Ihnen das recht?«
»Ãh, ja, das wäre sehr gut. Vielen Dank«, stotterte Newbury. Er war
offensichtlich sehr durcheinander.
»Ausgezeichnet, Sir. Ich werde gleich mit der Zubereitung beginnen.
Ihr Tee.« Scarbright gab Newbury die Tasse und die Untertasse und wandte sich
anschlieÃend an Veronica. »Miss Hobbes, werden Sie hier speisen, ehe Sie sich
in Ihr Hotel begeben?«
Veronica schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich fürchte, ich muss mir
erst noch ein Zimmer in einem passenden Haus suchen.«
Scarbright lächelte zufrieden, seine Augen funkelten. »Ich habe mir
die Freiheit genommen, für Sie bereits die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.
Kurz nach dem Abendessen wird ein Kutscher bereitstehen und Sie zum Albert
Hotel bringen.« Er verneigte sich. »Ich fürchte, jetzt muss ich mich in die
Küche zurückziehen. Bitte läuten Sie doch, wenn Sie mich brauchen.«
»Sehr gut, Scarbright.« Veronica nahm ihre Teetasse entgegen.
Newbury sah dem Butler benommen nach. Als die Tür wieder geschlossen
war, wandte er sich an Veronica. »Na gut.«
»Ja?«, antwortete sie.
»Er kann bleiben. Vorerst. Aber mit Charles werde ich morgen früh
trotzdem ein Wörtchen reden.«
Veronica konnte kaum ihr Lachen unterdrücken, als sie sich auf einem
Chesterfield-Sessel niederlieÃ, um den Tee zu trinken.
10
Bainbridge war nicht am
Schreibtisch, als der Polizeisergeant Veronica und Newbury am folgenden Morgen
in das Büro führte. An seiner statt beanspruchten zwei riesige Papierstapel den
Sitzplatz. Ein leeres Branntweinglas stand auf einem Notizblock, im Aschenbecher
häuften sich die Ãberreste von zwei Zigarren.
Der Sergeant bat um Verzeihung und versicherte ihnen, Sir Charles
werde bald zurückkehren. Sofern er überhaupt wusste,
wo sich der Chief Inspector aufhielt, sah er sich offenbar nicht
bemüÃigt, es den Besuchern mitzuteilen.
Newbury, der zu Veronicas Ãberraschung pünktlich vor einer Stunde
frisch und munter vor dem Hotel gewartet hatte, lieà sich in einem Stuhl vor dem Kamin nieder und lächelte sie erwartungsvoll an,
als müsste sie jetzt etwas besonders Interessantes und Profundes von sich
geben. Sie zuckte jedoch nur unverbindlich mit den Schultern und umrundete Bainbridges Schreibtisch. Newburys schlagartig verändertes Verhalten und seine äuÃere Erscheinung
konnten nur eines bedeuten: Zwischen Abendessen und Frühstück hatte er abermals
zu dem orientalischen Kraut gegriffen. Offensichtlich hatte er nicht genug von
dem schrecklichen Gift geschluckt, um in die gewohnte Selbstvergessenheit zu stürzen,
aber gewiss genug, um den Entzugserscheinungen die Spitze zu nehmen. Eine
andere Erklärung fiel ihr nicht ein.
Vielleicht war es ja zu erwarten gewesen.
Weitere Kostenlose Bücher