Immorality Engine
hinter den
lebenserhaltenden Stuhl der Königin gehockt hatte. Jetzt lieà er die Finger
über den Luftschlauch wandern, prüfte
die Verbindungen und suchte nach
Knicken oder Kratzern in der glatten Oberfläche. Unterdessen drang die Luft
keuchend in die Lungen ein und kam wieder heraus, der Brustkorb dehnte sich und
sank in sich zusammen, hob und senkte sich in einem ewigen gleichmäÃigen
Seufzen. Dies war sicherlich der längste Tod in der Geschichte der Menschheit,
überlegte er befriedigt. Ein unendlich langsamer Niedergang zu Vergessenheit
und Verfall.
»Diese Tatsache ist uns durchaus bewusst, Doktor. Sonst wären wir
nämlich schon tot.« Fabian zuckte zusammen. Victorias Sarkasmus war
messerscharf und traf ihn sehr. Wie aus eigenem Antrieb zuckte seine rechte
Hand zu der kleinen verborgenen Klappe in dem Messingrahmen, wo der geheime
Schalter eingebaut war.
Der Schalter. Er konnte die Klappe öffnen
und ihn umlegen, was ihr Uhrwerksherz sofort zum Stehen bringen würde. Es wäre
so leicht. Er überlegte ernsthaft, ob er es
jetzt tun sollte. Das Ticken der winzigen Taktgeber, die sich drehenden
Spulen â er musste nur den Schalter umlegen, und ein Stromstoà würde durch
ihren fetten, aufgedunsenen Körper jagen und zudem die ganze Ausrüstung
lahmlegen. Sie würde binnen Sekunden sterben, hätte aber noch genug
Zeit, das Gesicht des Mannes zu betrachten, der ihrem Leben ein Ende setzte.
Seine Hand zauderte über dem Schalter, wie sie es schon hundertmal getan hatte. Dieses Mal wird es ernst. Niemand würde davon erfahren. Er
würde sie sterben lassen, die Lungen würden die Luft verlieren, das Gehirn
würde langsam an Sauerstoffmangel zugrunde gehen. Ihr Uhrwerksherz würde stehen
bleiben, und er würde es ihr als Erinnerung entnehmen.
Ein Erinnerungsstück an den Moment, in dem sie gestorben war. Er würde
den anderen erzählen, er habe alles in seiner Macht Stehende getan, habe um ihr Leben gekämpft und verzweifelt
versucht, den Untergang aufzuhalten, doch der Eindringling habe irgendwie die
Maschine beschädigt, und er habe nichts mehr tun können, um sie zu retten. So einfach wäre es.
Fabian verspürte einen überwältigenden Drang, es endlich anzugehen
und die Sache gleich hier und jetzt zu Ende zu bringen. Seine Finger strichen
über die Klappe. Das Messing fühlte sich kalt an.
»Kommen Sie herum, wo wir Sie sehen können, Fabian«, befahl sie.
Erschrocken wich er zurück. Ob sie etwas bemerkt hatte? Nein, von
seinem kleinen Sicherheitsmechanismus konnte sie nichts wissen. Oder doch? Was
würde sie tun, wenn sie es herausfand? Dann wäre sein Leben verwirkt, so viel
war sicher. Keinesfalls würde sie einen so gefährlichen Mann weiterhin in ihrer
Nähe dulden. So gut seine Ausreden auch waren â wie etwa die
Schutzbehauptung, er habe nur vorsorglich ein Euthanasiegerät eingebaut, falls
ihr irgendwann einmal alles zu viel wurde â, sie würde ihn auf der Stelle
vernichten, wenn sie auch nur die leiseste Ahnung von der Existenz der
Vorrichtung hätte.
»Jawohl, Euer Majestät.« Fabian warf einen letzten Blick auf die
Luftbehälter. Ja, alles war in bester Ordnung. Der Eindringling hatte nicht
genügend Zeit gehabt, irgendetwas zu beschädigen, ehe die Queen die
AbwehrmaÃnahmen eingeleitet, einen Bolzen aus dem Stuhl abgefeuert und die
Brust des Angreifers getroffen hatte. Er hatte nie eine Chance gehabt, sie
ernsthaft zu verletzen.
Fabian umrundete die sitzende Monarchin. Es behagte ihm nicht, ihr
so nahe zu sein. Sie stank. Es war nicht der schwache Krankheitsgeruch einer
alternden Frau, sondern der kräftige, üble Gestank von fortgeschrittenem
Verfall. Der Stuhl versorgte die Queen mit allem, was sie zum Leben brauchte,
doch viele ihrer Körperfunktionen blieben aktiv. Zwar kümmerten sich regelmäÃig
Pflegerinnen um Victoria und wuschen sie, aber die umfangreiche Maschinerie
verhinderte eine wirklich gründliche Reinigung. AuÃerdem waren die Ãffnungen,
die er in die Brust geschnitten hatte, um die Schläuche mit den zusammengefallenen
Lungen zu verbinden, nie richtig abgeheilt. Unter den Verbänden waren sie wund
und ständig entzündet.
Kein Agent, kein Besucher und kein Bediensteter wagte es, in ihrer
Gegenwart offen darauf zu reagieren, aber sie roch wie eine verfaulte
Grapefruit.
Fabian trat vor sie und suchte
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