Immorality Engine
ihr über die
Wangen und tropften wie ein unwillkommener Regen auf das Kleid.
Newbury blieb mit besorgtem Gesicht vor ihr stehen. »Aber ich habe
Amelia gesehen, Veronica! Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Fabian
erklärte mir, wie erfolgreich seine Behandlung verlief, und führte mich zu
ihrem Zimmer. Sie sah gut aus. Schmal und müde, aber gut.«
Veronicas Verwirrung war so undurchdringlich wie der Londoner Nebel.
Sie wünschte, sie hätte ein Hilfsmittel, um sich darin zu orientieren. »Glauben
Sie, dass sie Bescheid wei�«
Newbury schüttelte den Kopf.
»Sicher nicht. Meiner Ansicht nach hat Amelia keine Ahnung, was in Wahrheit
geschieht. Ich konnte nicht lange mit ihr sprechen, aber was sie gesagt hat,
verriet mir, dass sie groÃe Stücke auf Fabian hält. Sie hat den Eindruck, dass
die Behandlungen, die er ihr verordnet, gut anschlagen. Die Anfälle hätten fast
völlig aufgehört, und es gebe nur noch wenige Rückfälle, weil sie manchmal die
Behandlung zu rasch vorantreiben.« Newbury schüttelte frustriert die Faust.
»Wie hat er das nur getan?«
»Das weià ich nichtââ¦Â« Veronica
unterbrach sich, weil sie erkannte, dass es eine rhetorische Frage gewesen war.
Newbury dachte laut nach.
Er schritt schon wieder hin und her, presste die Fingerspitzen
beider Hände zusammen und formte ein Dach vor der Brust. »Es könnte ein Nebeneffekt
der Behandlung sein, ein unerwartetes Nebenprodukt.« Er sprach bei Weitem nicht
so überzeugt wie sonst. Er ging verschiedene Theorien durch und überprüfte, wie
tragfähig sie waren. Veronica wusste, dass Newbury nicht wirklich an diese
Möglichkeit glaubte.
»Nein.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Es war Vorsatz. Sie
versuchen, Amelias Fähigkeiten zu steuern, und wollen sich von ihr die Zukunft
vorhersagen lassen.«
»Sie?«, fragte Newbury verwirrt.
»Fabian und die Queen«, entgegnete sie.
Newbury runzelte die Stirn. »Glauben Sie denn, die Queen ist im
Bilde?«
Müde und gereizt lieà Veronica jede höfliche Zurückhaltung fallen.
»Seien Sie nicht so blind, Maurice. Denken Sie nach. Fabian ist der Leibarzt
der Königin, und sie hört auf ihn. Ãberlegen Sie doch, was er ihr bieten kann
und was Amelia für die beiden tun kann, wenn es ihnen gelingt, ihre Fähigkeiten
in die richtigen Bahnen zu lenken. Eine Herrscherin, die in die Zukunft blicken
kann! Natürlich weià sie Bescheid. Wahrscheinlich steckt sie höchstpersönlich
dahinter.«
Newbury starrte sie gespannt an. Da er ihr schon einmal aufmerksam
zuhörte, sprach sie eilig weiter. »Wir müssen Amelia dort herausholen. So darf
es nicht weitergehen.«
Newbury drehte sich um und trat ans Fenster, stemmte beide Hände auf
die Fensterbank und blickte zur StraÃe hinunter. Er schwieg eine Weile, dann
drehte er sich zu ihr um. »Veronica, Sie reden davon, gegen die Queen
vorzugehen.«
»Ja, und davon, meine Schwester zu
retten.« Trotzig blitzende Augen erwiderten seinen Blick.
»Die Sache ist gröÃer, als uns klar ist, Veronica. Wir müssen über
alle Folgerungen genau nachdenken, und ich meine wirklich über alle.« Er drehte
sich wieder zum Fenster herum und hing seinen Gedanken nach.
Veronica wusste unterdessen nicht mehr, was sie überhaupt noch
denken sollte. In ihrem Kopf drehte sich alles, es war ein furchtbares
Durcheinander. Sie hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte. Sie
wusste nur, dass sie Amelia helfen musste, und was Newbury auch sagte, je
länger ihre Schwester in diesem schrecklichen Haus blieb, desto gröÃer war die
Gefahr.
»Sykes!« Newbury schnippte mit den Fingern. Veronica fuhr
erschrocken auf. Von neuem Unternehmungsgeist beflügelt, drehte er sich zu ihr
herum. »Edwin Sykes ist der Schlüssel.«
»Was ist mit Edwin Sykes?«, gab sie zornig zurück. Sie war wirklich
nicht in der Stimmung, sich über den Fall Gedanken zu machen.
»Kopien, Veronica!« Er stürmte zu
ihr. »Es muss eine Verbindung geben. Warum bin ich nicht schon längst darauf
gekommen?«
Nun war es an Veronica, verblüfft
dreinzuschauen. »Natürlich! Sie denken, Fabian stehe immer noch mit der
Bastion Society in Verbindung und Sykes sei auf die gleiche Weise kopiert
worden wie Amelia.«
Newbury hob ratlos die Schultern. »Natürlich bin ich nicht
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