Immorality Engine
nicht hierlassen. Sie verstehen
es nicht.«
Newbury legte ihr eine Hand auf den Arm und sprach leise und
nachdrücklich. »Veronica? Veronica, sehen Sie mich an. Wir werden beobachtet.
Wir müssen sofort wegfahren. Ich verspreche Ihnen, dass wir der Sache auf den
Grund gehen. Wir werden tun, was für Amelia das Beste ist. Aber jetzt müssen
wir fahren.«
Veronica blickte über seine
Schulter hinweg. Der Maschinenmensch stand immer noch in der Tür und
betrachtete sie unverwandt. Inzwischen war jedoch auch Dr. Fabian an ein Fenster
des Hauses getreten und beobachtete sie ebenfalls. Am liebsten wäre sie zum
Haus gestürmt und hätte ihn mit Vorwürfen überzogen, aber sie war erschöpft und
unsicher und lieà sich nun doch von Newbury in die Droschke bugsieren. Der
Agent sprang auf der anderen Seite hinein, warf die Tür zu und klopfte laut an
die Holzwand, um dem Kutscher zu verstehen zu geben, dass er abfahren solle.
Veronica hörte eine Peitsche
knallen, dann wieherten die Pferde protestierend, die Droschke ruckte und
setzte sich in Bewegung. Der Kies spritzte hoch, als sie sich eilig in den
dunstigen Nachmittag entfernten.
Veronica blickte durch das Fenster und sah, wie das Grayling
Institute hinter ihnen kleiner wurde. Ihr war übel, sie fühlte sich leer. Es
kam ihr so vor, als hätte sie Amelia einem Schicksal überlassen, das schlimmer
war als der Tod.
In diesem Moment entschloss sie sich, alles in ihrer Macht Stehende
zu tun, um ihre Schwester vor Fabian und diesem schrecklichen Ungeheuer mit dem
Porzellangesicht zu retten. Amelia musste frei sein, und der Doktor musste für
seine Gräueltaten büÃen. Ganz egal, was dazu nötig war und wie die Konsequenzen
aussehen würden.
15
»Erzählen Sie mir noch einmal, was Sie gesehen haben.«
Veronica schloss die Augen. HeiÃe Tränen sammelten sich unter den
Lidern. All die aufgestauten Gefühle, der
Schrecken, die Furcht und der Schock strömten nun zu einer brennenden Wut
zusammen. Wut auf Fabian wegen der schrecklichen Verbrechen, die er an ihrer
Schwester begangen hatte. Wut auf die Queen, die solch grässliche
Verfehlungen billigte und ermöglichte. Wut auf Newbury, der vor ihr auf und ab
schritt und sie mit Fragen behelligte, während sie zum Grayling Institute
zurückkehren wollte, so schnell es einem Menschen nur möglich war, um ihre
Schwester in die Arme zu schlieÃen und an einen sicheren Ort zu bringen.
Veronica bohrte sich die
Fingernägel in die Handflächen und biss die Zähne zusammen. Trotz aller
Anstrengungen konnte sie die Bilder nicht aus dem Kopf verbannen, und Newbury
drängte sie sogar, sich immer und immer wieder zu erinnern. Sie kämpfte den
Drang nieder, ihn einfach anzuschreien. Das hätte Amelia nichts genützt, und im
Grunde wusste sie genau, dass Newbury ihr nur helfen wollte. Es drängte sie
jedoch, auf der Stelle etwas zu unternehmen. Sie wollte etwas tun und etwas verändern, statt einfach nur herumzusitzen
und zu reden.
Sie waren in ihrer Wohnung in
Kensington, in der sich seit dem vergangenen Nachmittag nichts verändert hatte.
Die tiefen Furchen im Boden und die Brandspuren auf dem Teppich waren deutliche Hinweise auf den Kampf, der hier stattgefunden hatte. Mrs. Grant war natürlich nirgends
zu sehen, denn Veronica hatte darauf bestanden, dass sie ein paar Tage bei
ihrer Schwester verbrachte, wo sie
hoffentlich sicher war. Sie wünschte
nur, sie könnte für ihre Schwester das Gleiche tun und Amelia an einen sicheren
Ort schicken, weit weg von Dr. Fabian und seinem finsteren Assistenten.
Veronica holte tief Luft, um die
Gefühle, die in ihr tobten, unter Kontrolle zu bringen. »Es waren so viele, sie
haben in der Dunkelheit gewimmert. Sie waren an schreckliche mechanische
Folterinstrumente gefesselt. Man konnte sie kaum noch menschlich nennen,
Maurice: Tiere von Amelias Gestalt und Aussehen, die sich ihr ÃuÃeres und ihre
Stimme geborgt haben. Aber sie war es nicht, diese Wesen hatten nichts mit ihr
zu tun.« Sie unterbrach sich und unterdrückte ein weiteres Schluchzen. »Sie
haben gebrabbelt. Prophezeiungen haben sie ausgestoÃen oder mit bloÃen
Fingernägeln auf die Wände oder den Boden gekratzt, bis die Finger nur noch
stumpfe, blutige Stummel waren.« Sie zitterte am ganzen Körper und stöhnte
laut, als die Erinnerungen sie überwältigten. Tränen strömten
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