Immortal 3 - Schwarze Glut
kla- rere Konturen an. Plötzlich erschien Christine vor ihm. Sie lag auf einem Felsen, an Händen und Füßen gefesselt. Über sie gebeugt und mit einer blitzenden Klinge in der Hand, war Culsu.
»Nein!« Das durfte nicht sein – nicht noch einmal!
»Du liebst diese Frau.« Culsus kalte, tote Augen ließen ihn erstarren. »Dafür werde ich sie töten.«
»Nein! Das lasse ich nicht zu!«
Culsu hob die Klinge ein Stück. »Dann töte mich, Unsterb- licher!«
Als Kalen zögerte, lachte sie. »Du kannst nicht, stimmt’s?
Du würdest keine Ewigkeit Nichts gegen ihr Leben eintau- schen.«
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»Ich würde«, fl üsterte Kalen, nur kam es eine Sekunde zu spät.
Lachend rammte Culsu ihre Klinge nach unten. Kalen wollte hinrennen, konnte sich jedoch nicht rühren. Dunkelheit legte sich über seine Augen, und der Boden unter seinen Füßen verschwand.
Christine schrie …
Die Traumszene zerbarst. Kalen rang nach Luft. Ein Alptraum. Es war bloß ein Alptraum gewesen. Aber … verstört bemerkte er, dass er nicht mehr in seinem Bett lag, nicht einmal mehr in seinem Schlafzimmer war.
Er lag an einem dunklen, feuchten Ort, ausgestreckt auf einem schleimigen Felsen. Der Geruch von vergammelndem Fisch drang ihm in die Nase, ebenso wie der von stehendem Meerwasser. Bis auf das entfernte Branden der Wellen war alles still. Er wusste, wo er sich befand, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie er hierhergekommen war. Nie zuvor hatte er im Schlaf den Ort gewechselt.
Seit über fünfhundert Jahren war er nicht mehr in dieser Zelle gewesen, seit er die verlassene Burg zu seinem Zuhause gemacht hatte. Er hatte damit gerechnet, erst in 293 Jahren wieder herzukommen.
Er beschwor Licht in die Dunkelheit, worauf ein sanfter Schimmer die schleimigen Wände beleuchtete, aus denen Salpeter sickerte. Er war im unteren Kerkerbereich, genau unterhalb seines Büros und fast auf Meereshöhe. Die Zelle war kaum mehr als eine in den Felsuntergrund geschlagene Höhle. Die Decke war nur wenig höher als Kalen und der Raum zu beiden Seiten gerade groß genug, um darin die Arme auszustrecken. Überreste von Eisenketten, die inzwischen nur noch 301
rostige Klumpen waren, hingen an den Wänden. Die Luft war schwer und übelriechend, nicht die Mühe des Atmens wert. Ursprünglich hatte ein Tyrann in der Burg gelebt, und Kalen glaubte fast, die klagenden Stimmen der Männer zu hören, die hier unten elendig verrottet waren. Kalen hingegen hielt in diesem Kerker etwas gänzlich anderes gefangen. Unis Kristallspeer.
Einst war ihm die magische Waffe so vertraut gewesen, als gehörte sie zu seinem Körper. Heute, nach vielen Jahrhunderten, war ihr Anblick befremdlich, wie der eines amputierten, stark verwesten Körpergliedes. Mit dem einzigen Unterschied, dass Unis Speer kein bisschen verfallen war. Er war unzerstörbar. Kalen hätte ihn in tausend Stücke zerschlagen, wäre das möglich gewesen. Natürlich hätte er den Speer im Ganzen begraben oder ins Meer schleudern können, doch die Gefahr, dass er gefunden worden wäre, war viel zu groß. In den falschen Händen könnte die magische Kristallspitze unvorstellbares Leid anrichten. Also hatte Kalen das Einzige getan, was ihm eingefallen war: Er hatte den Speer in seinem Zuhause versteckt, unter seinen Füßen, geschützt von den stärksten Verteidigungszaubern, die er kannte.
Immer noch klebte Gerolds Blut an der Speerspitze, und die rostfarbene Kruste verursachte Kalen beinahe Übelkeit. Mit dem Speer hatte er Schande über sich als Gott und als Mann gebracht. In dreihundert Jahren, wenn seine Strafe verbüßt wäre, hätte er ihn vielleicht wieder zum Schutz der Menschheit eingesetzt. Gegenwärtig hegte er allerdings wenig Hoffnung, dass dann noch Lebensmagie in der Menschenwelt existieren würde, die beschützt werden musste. Der Speer lag in einer Ecke des Kerkers, und Kalen machte 302
einen Schritt auf ihn zu. Als würde er die Nähe seines Meisters spüren, erwachte dessen Spitze zum Leben. Weiße Funken leuchteten an den Rändern des Kristalls – eiskalte Energie, die auf Kalens Befehl wartete.
Eine Zeitlang starrte er die Waffe nur an. Dann streckte er seine rechte Hand danach aus. Er bückte sich nicht, um den Speer aufzuheben, weil es nicht nötig war. Aus dieser Nähe reichte allein seine Willenskraft, damit die Waffe in seiner Hand erschien.
Seine Finger schlossen sich um den langen Stiel. Das Gewicht fühlte sich fremd an, unnatürlich. Einst war er sich ohne seinen Speer nackt
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