Immortal Guardians: Dunkler Zorn (German Edition)
das hier nach sich ziehen würde. Möglicherweise verlor sie ihren Job. Und falls sie ihn durch ein Wunder doch behalten konnte, würde man ihr wahrscheinlich den Kontakt zu den Vampiren verbieten.
Der schwere Schließmechanismus der Tür wurde automatisch entriegelt. Bastien öffnete die Tür.
Kettenrasseln und Knurrgeräusche erklangen aus dem Inneren.
Das einstmals luxuriöse Apartment hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Der Flur war mit den Überresten zersplitterter Möbel übersät, vergleichbar mit Treibholz bildeten sie Dünen und Verwehungen, die sich an den Wänden entlangzogen. Einschusslöcher zierten die Gipskartonplatten, manche Löcher waren so groß, dass dahinter der Stahl zum Vorschein kam, den sie verdeckten.
Aus der Kehle des Vampirs, der in gebeugter Haltung und von metallischem Scheppern begleitet in ihre Richtung schlurfte, löste sich ein dumpfes Grollen.
Vincent, dessen Augen hellorange leuchteten, entblößte drohend die Reißzähne. Eine lange, schwere Kette erstreckte sich von einem Metallring in der Wand bis zu der großzügigen Fußfessel um seinen Knöchel. Melanie hatte Widerspruch erheben wollen gegen diese Art von Fesseln, aber das war der einzig mögliche Weg gewesen. Auf diese Weise konnte sich Vincent frei im Apartment bewegen und wurde gleichzeitig daran gehindert, sie oder einen der anderen Netzwerkangehörigen anzugreifen, wenn sie ihm etwas zu essen brachten oder versuchten, ihn zu beruhigen, wenn er wieder einen seiner …
Na ja, sie war sich nicht sicher, wie man das nennen sollte. Ein psychotischer Ausbruch? Soweit sie wusste, war es Vincent in der einen Sekunde noch gut gegangen – und im nächsten Moment hatte er die Netzwerkmitarbeiter mit der Schnelligkeit und Raserei eines der irren Zombies aus 28 Tage später angegriffen.
Bastien betrat das Zimmer, und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er auf dem Rücken in einer Scheide ein Katana, ein japanisches Langschwert, trug.
Als Melanie ihm folgte, streckte der Unsterbliche den Arm aus, legte seine große, warme Hand auf ihre Hüfte und schob sie mit einer schnellen Bewegung hinter sich.
Die Berührung ließ ihr Herz schneller schlagen.
»Vincent.« Bastiens Stimme war sehr sanft, sie strahlte Ruhe und Klarheit aus.
Vincent antwortete nicht, sondern bewegte sich in gebückter Haltung und bestialische Laute ausstoßend weiter auf sie zu.
»Vincent«, wiederholte Bastien geduldig.
Als er ihn zum dritten oder vierten Mal angesprochen hatte, wurde Vincent ruhiger und kam stolpernd zum Stehen. »Bastien?«, fragte er mit der traurigen Hoffnung eines kleinen, verloren gegangenen Kindes, das nicht glauben konnte, dass seine Eltern es wirklich gefunden hatten.
»Ja, mein Freund.« Anspannung und Unbehagen waren aus der Stimme des Unsterblichen verschwunden und wurden durch Wärme und Gelassenheit ersetzt.
Melanie spähte an Bastiens Arm vorbei auf Vince.
Vincents hellbraune Augen richteten sich auf sie und füllten sich dann mit Tränen. »Dr. Lipton? Ich wollte das nicht tun.«
»Ich weiß«, beruhigte sie ihn.
»Ich bin mir nicht mal sicher …« Er musterte das Chaos, das ihn umgab, und sah dann wieder Bastien. »Was habe ich getan? Habe ich …?« Eine Träne kullerte ihm über die Wange. »Ich habe doch niemanden getötet, oder?«
Bastien warf Melanie einen Blick zu.
»Nein«, bestätigte sie sanft. »Dr. Whetman und ein paar andere wurden verletzt, aber es wurde niemand getötet.«
Vincents gequälter Blick glitt zurück zu Bastien. Er schüttelte den Kopf. »Ich will niemandem wehtun.«
»Ich weiß, dass du das nicht möchtest«, sagte Bastien und machte einen Schritt auf ihn zu.
»Ich bin hierhergekommen, damit ich niemandem wehtue. Ich dachte, sie könnten mir helfen.«
»Sie versuchen es, Vincent.«
Und versagen, dachte Melanie, als Vincent die Arme um Bastien schlang und den Kopf in seiner Brust vergrub, während sich seine Hände auf Bastiens Rücken zu Fäusten ballten.
Bastien nahm den Jungen fest in die Arme, senkte den Kopf und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Was für Worte das allerdings sein mochten, wusste sie nicht.
Vincent war gerade achtzehn Jahre alt geworden, als er mit dem Virus infiziert wurde, und sah mit seinem jungenhaften Gesicht, den kurzen, dunklen Haaren und dem schmalen Körperbau sogar noch ein wenig jünger aus. Das Virus hatte nur vier Jahre gebraucht, um seinen gesunden, jungen Verstand zu zerstören, sein Verhalten dramatisch zu verändern und aus
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