Immortalis
Stiefel. Omar warf Corben die Sachen vor die Füße. Der streifte sie über die Boxershorts – eine ausgebeulte Khakihose, ein dunkelgraues Sweatshirt und Armeestiefel. Omar zog Kabelbinder aus der Tasche und bedeutete Corben, er solle die Hände zusammenlegen. Corben gehorchte widerwillig. Omar legte ihm die Fesseln an und holte einen schwarzen Stoffsack hervor. Er packte Corben bei den Schultern und riss ihn grob herum, um ihm den Sack über den Kopf zu stülpen. «Jalla, imschi» , grunzte er. Beweg dich.
Corben hatte genug davon, sich herumstoßen zu lassen. «Finger weg, Arschloch», kläffte er, riss seinen Arm los und stieß Omar zurück. «Das kann ich selbst.»
Omar packte ihn, stieß ihn gegen die Tür und schrie: «Imschi, wlaa!» Corben sträubte sich, aber dann schaltete der Hakim sich ein und befahl seinem Gorilla, es gut sein zu lassen. Omar funkelte Corben wütend an, drückte ihm den Sack in die Hand und trat zurück.
Evelyn presste ein Ohr an die Tür und lauschte angestrengt auf den Lärm vor ihrer Zelle. Sie hatte gehört, wie die Tür aufgeschlossen wurde, und befürchtet, dass noch ein Entführungsopfer gebracht oder – schlimmer noch – zu einer Foltersitzung mit ihrem geisteskranken Gastgeber herausgeholt werden sollte.
Stattdessen hörte sie einen Mann englisch sprechen. Einen Amerikaner. Sie konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er schien bei guter Gesundheit zu sein.
Dann hörte sie ein Handgemenge. Sie brachten ihn fort. Der Mann hatte sich gewehrt.
Panik überfiel sie. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Halb wollte sie schreien und den anderen Gefangenen auf ihre Anwesenheit aufmerksam machen. Wenn er entkäme oder befreit würde, könnte er die Welt wissen lassen, dass sie noch lebte. Halb hatte sie schreckliche Angst. Angst davor, den Mann in Schwierigkeiten zu bringen, Angst davor, selbst für diese Aufsässigkeit bestraft zu werden.
Aber sie durfte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Zum Teufel mit den Konsequenzen.
«Hilfe», schrie sie aus vollem Hals. «Ich heiße Evelyn Bishop. Ich bin amerikanische Staatsbürgerin. Ich wurde in Beirut entführt. Bitte informieren Sie die Botschaft.» Immer wieder schlug sie mit beiden Händen gegen die harte, unnachgiebige Tür. «Hilfe. Ich muss hier raus. Bitte. Sagen Sie es jemandem, irgendjemandem.»
Einen Moment lang stand sie still da. Sie bebte vor Anstrengung. Ihr müder Körper war starr vor Angst und gequält von einer verzweifelten Hoffnung. Sie lauschte und wartete auf eine Reaktion.
Nichts geschah.
Sie sackte zu Boden. Ihr Mundwinkel zuckte nervös, und sie schlang die Arme um ihren zitternden Körper.
Corben erstarrte, als er Evelyn schreien hörte. Er drehte sich um. Sein Blick wanderte an den Türreihen zu beiden Seiten des langen Korridors entlang. In welcher Zelle war sie? Es klang ziemlich nah, aber die gedämpfte Stimme konnte aus jedem der benachbarten Räume kommen.
Nicht, dass es wirklich wichtig gewesen wäre.
Er war nicht in der Lage, irgendetwas zu unternehmen.
Er warf dem Hakim einen Blick zu. Der Mann musterte ihn ungerührt und schien seine Reaktion zu beobachten. Dann lächelte er mit schmalen Lippen. «Es liegt bei Ihnen», sagte er sarkastisch. «Möchten Sie ein Held sein? Oder möchten Sie ewig leben?»
Corben ließ die Worte in sich nachklingen. Es fuchste ihn, dass diese Missgeburt, dieses wahnsinnige, bösartige Monstrum so mit ihm umspringen, ihn verspotten und verführen konnte. Er hasste den Hakim dafür – und mehr noch, er hasste sich selbst, weil er sich fügte. Ein Pakt mit dem Teufel. Das hatte noch nie ein gutes Ende genommen, oder? Wenn er hier und jetzt Gelegenheit hätte, seinen Peinigern eine Kugel in den Kopf zu jagen und Evelyn und die andern hier zu befreien – würde er es tun?
Er war nicht sicher.
Wahrscheinlich nicht, wenn er die Wahl hätte, gestand er sich ein.
Zu viel stand auf dem Spiel.
Der Preis war zu hoch.
Corben sah den Hakim stirnrunzelnd an. Zur Antwort stülpte er sich den Sack über den Kopf. Und in der Dunkelheit der Verhüllung hoffte er, der gespenstische Klang der Schreie aus Evelyns Zelle werde nicht allzu lange in sein Bewusstsein eingebrannt bleiben.
Die Ewigkeit war jedenfalls zu lang.
54
Die Beechcraft King Air flog entlang der grünen Mittelmeerküste. Ihre zwei Turboprops trieben sie nordwärts auf die Türkei zu.
Mia hatte sich ohne große Probleme unbemerkt aus dem Hotel schleichen können. Wie abgesprochen
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