Immortalis
Geliebten, eines maurischen Sklaven, sehnte.
Aber er fand nichts.
Er hielt Isaac über das, was er tat, auf dem Laufenden, aber dem alten Mann ging es zusehends schlechter. Eine Krankheit hatte seine Lunge befallen, und Sebastian ahnte, dass er den Winter nicht überleben würde. Trotz aller Vorsicht erregten seine Nachforschungen die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten.
Bald wurde er vor den Großinquisitor Francisco Pedroso befohlen. Sebastian erklärte seine eifrigen Ausflüge mit der Verfolgung ketzerischer Schriften, aber er hütete sich, dabei jemanden zu belasten. Seine Besuche in Isaacs Verlies, von denen Pedroso ebenfalls wusste, stellte er als letzte, vergebliche Versuche dar, die Seele des Mannes zu retten.
Mit blutleeren alten Lippen gab der finstere Priester Sebastian zu verstehen, dass Gott alle seine Untertanen aufmerksam im Auge behalte, und er erinnerte den jungen Mann daran, dass der Fürsprecher eines Opfers als größerer Verbrecher betrachtet werde als der Angeklagte selbst.
Sebastian wusste, dass seine Suche in Portugal damit zu Ende war. Von jetzt an würde man ihn genauestens beobachten. Jeder Fehltritt konnte ihn in den Kerker bringen. Und als Isaac in diesem Winter starb, war ihm endgültig klar, dass es im Land seiner Väter nichts mehr für ihn zu tun gab.
Aber das Vermächtnis seiner Eltern und Isaacs musste gehütet werden. Und mehr als das – ihre Arbeit musste vollendet, ihr Versprechen erfüllt werden.
An einem frischen Frühlingsmorgen lenkte Sebastian sein Pferd über den Ponte Velha und in die Eukalyptuswälder der benachbarten Berge. Er wollte nach Spanien, zu den Komtureien der Templer in Tortosa, Miravet, Monzón, Gardeny und Peníscola. Wenn nötig, würde er seine Suche in der Heimstatt der Gelehrsamkeit und der Übersetzungskunst fortsetzen, in Toledo.
Und wenn diese Nachforschungen erfolglos blieben, würde er der Spur der schwanzfressenden Schlange bis in ihre Heimat folgen, über das Mittelmeer nach Konstantinopel und weiter ins Herz der Alten Welt, zu den verschleierten Geheimnissen, die dort warteten.
14
Der frühmorgendliche klagende Gebetsruf von einer nahen Moschee drang durch die Betonblockwände in das Vernehmungszimmer und riss Mia aus dem Schlaf.
Benommen sah sie auf die Uhr und runzelte die Stirn. Gerade erst war es ihr gelungen, die Unbequemlichkeit ihrer Schlafstatt – zwei raue Wolldecken, die sie zusammengefaltet auf den Fliesenboden gelegt hatte – und die lärmenden Aufrufe und Kommandos auszublenden, die während der ganzen Nacht durch das Polizeirevier hallten.
Zwei Stunden später erschien ein Polizist in der Tür des Vernehmungszimmers und brachte eine frische Flasche Wasser und ein dampfend heißes manouschi , einen dünnen, pizzaähnlichen Teigfladen, reichlich belegt mit einer Mischung aus Thymian, Sesam und Olivenöl. Sie nahm all ihren Mut zusammen und bat darum, noch einmal die Toilette benutzen zu dürfen, im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass ein zweiter Besuch der sanitären Anlagen des Reviers in ihrer ganzen mittelalterlichen Abscheulichkeit den Einsatz von Antibiotika womöglich unumgänglich machen würde. Danach führte man sie in ihre behelfsmäßige Zelle zurück und schloss sie erneut für mehrere nervenaufreibende Stunden ein. Sie ging auf und ab und versuchte, ihre düsteren Gedanken im Zaum zu halten, bis die Tür sich gegen Mittag knarrend öffnete und die Hoffnung in Gestalt eines Mannes namens Jim Corben eintrat.
Er stellte sich als Wirtschaftsberater der Botschaft vor und fragte, ob es ihr gutgehe. Das Frettchen und Inspektor Platitude waren bei ihm, aber sie spürte sofort, dass hier jetzt ein ganz anderer Wind wehte. Corben hatte Präsenz, und das war den beiden Polizisten sehr bewusst. Seine Haltung, sein Händedruck, seine feste Stimme, der selbstbewusste Blickkontakt – eine ganz andere Sorte Mann als Baumhoff, dachte sie. Baumhoff fiel rettungslos gegen ihn ab – ein schweinsgesichtiger, schütterer, teigiger Mittfünfziger neben einem schlanken, kurzhaarigen, leicht sonnengebräunten Mann Mitte dreißig. Dieser Eindruck wurde zweifellos beeinflusst von der Tatsache, dass Corben, gleich nachdem er sich erkundigt hatte, ob es ihr gutgehe, die magischen Worte ausgesprochen hatte, die ihre Verzweiflung beiseitefegten und ihr fast die Tränen in die Augen trieben. Sechs kleine Wörter, die sie nie vergessen würde.
«Ich bin hier, um Sie herauszuholen.»
Es dauerte zwei Sekunden, bis sie ihr Glück fassen
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