Immortalis
Faruk zu verkaufen hatte.
Dabei beobachtete sie sein Gesicht. Er war sichtlich fasziniert von ihrer Geschichte, aber sie begriff auch, dass er das Symbol schon kannte. Er erkundigte sich, ob sie weitere Nachforschungen über diesen Geheimzirkel angestellt habe, und wollte wissen, was sie herausgefunden hatte. Sie erzählte ihm von den Brüdern der Reinheit und von den Ähnlichkeiten in den Dokumenten. In Wahrheit gab es nicht viel zu erzählen, denn ihre Forschungen hatten in einer Sackgasse geendet. Es schien, als sei der Zirkel aus der unterirdischen Kammer einfach verschwunden.
Evelyn verstummte. Sie hatte ihm alles gesagt, was sie wusste, mit einer Ausnahme: Sie hatte Tom herausgehalten. Sie wusste nicht genau, warum sie ihn nicht erwähnen wollte. Tom hatte sie nicht ausdrücklich gebeten, sein Interesse zu verschweigen. Aber sie wusste es auch so. Sie wusste, dass er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Sie wusste, dass er ihr nicht gesagt hatte, was ihn tatsächlich dort hingeführt hatte und was er wirklich über diesen vergessenen Geheimzirkel wusste. Und hier, an Händen und Füßen gefesselt auf einem Stahlrohrstuhl in einem fensterlosen Raum, wusste sie auch, dass der Mann, der ihr gegenübersaß, es auf das Gleiche abgesehen hatte wie Tom vor vielen Jahren. Und wenn dieser Mann etwas von Tom erfahren sollte, würde er mehr als erpicht darauf sein, ihm die gleiche Einladung zukommen zu lassen, die auch sie erhalten hatte.
Der Gedanke beschwor leisen Ärger herauf. Sie fühlte sich verraten. Was hatte Tom wirklich gewusst? Und – was noch wichtiger war – wusste er, dass auch andere sich für den Geheimzirkel interessierten? Andere, die, um es gelinde auszudrücken, weniger liebenswürdig waren? Wenn Tom ihr alles anvertraut hätte, wäre sie dann vielleicht nicht in Gefahr geraten? Hätte sie irgendetwas anders gemacht? Aber sie wusste nicht, ob es etwas geändert hätte. Das alles war so lange her.
Nach all den Jahren hatte sie immer noch das Bedürfnis, ihn zu beschützen. Sie konnte es sich nicht genau erklären. Es war einfach … da. Ein Instinkt, der sich ihrem Selbsterhaltungstrieb widersetzte.
Seltsamerweise fühlte sie sich besser in dem Wissen, dass sie dem Mann im Arztkittel etwas vorenthielt, wenn es auch nur eine Winzigkeit war. Dass sie ihm auf irgendeine Weise Widerstand leistete. Es war so etwas wie ihr kleiner Triumph.
Leider schien er das zu spüren. Irgendetwas huschte über sein Gesicht, und er fragte: «Und da haben Sie die Sache aufgegeben und sich neuen Forschungsgebieten zugewandt?»
«Ja», antwortete sie schlicht.
Er beobachtete sie. Sie erwiderte seinen Blick so aufrichtig wie möglich und hoffte, dass er ihre Furcht nicht sehen konnte. Schließlich schaute sie weg.
«Wer weiß sonst noch von Ihrem Fund?», fragte er.
Die Frage kam nicht unerwartet, aber sie erschrak trotzdem. Sie bemühte sich, das Unbehagen zu unterdrücken. «Niemand.» Es klang zu defensiv, dachte sie plötzlich, außerdem war es offensichtlich unwahr, und das musste er wissen. «Ich meine, natürlich wussten die Leute, mit denen ich bei den Ausgrabungen zusammenarbeitete, davon. Die anderen Archäologen und das Hilfspersonal», fügte sie unbeholfen hinzu. «Und ich habe an der Universität Bagdad und bei anderen Kontaktpersonen Erkundigungen darüber eingezogen.» Vielleicht war das «Niemand» wirklich zu schnell gekommen.
Der Mann im weißen Kittel starrte sie intensiv an. Es war, als dringe er in ihren Kopf ein. Sie fühlte, wie er darin herumstöberte, und sie wollte ihn dort nicht haben. Schließlich nickte er und beugte sich vor. «Gestatten Sie?» Er nahm den Gummiriemen in die Hand.
Evelyn zuckte zurück. «Was haben Sie vor?»
Beruhigend hob er die Hand. «Ich werde Ihnen nur ein bisschen Blut abnehmen. Kein Grund zur Besorgnis.»
Sie bewegte den Arm hin und her, um ihn daran zu hindern. «Nein, bitte nicht –»
Seine Hand schoss vor und umklammerte wieder ihren Kiefer, hart wie eine Schraubzwinge. Seine Augen waren kalt wie Stahl, und er beugte sich bedrohlich vor, bis sein Gesicht dicht vor ihrem war. Die Worte kamen langsam und zischend aus seinem Mund. «Machen Sie es sich nicht noch schwerer.» Einen atemlosen Augenblick lang hielt er sie so fest und ließ die Worte wirken. Dann ließ er sie los und schlang ihr den Gummiriemen um den Oberarm.
Sprachlos vor Schrecken saß Evelyn da und ließ es geschehen.
Er hielt ihren Arm gestreckt und klopfte mit langen, schmalen
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