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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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beruhigend. Ihm wurde schwindlig. Er sog die Nachtluft ein und wandte sich um. Di Sangro starrte zu ihm herauf, und ihre Blicke trafen sich. St. Germain sah den Schmerz, den Zorn und die Verzweiflung des Fürsten, als dieser schrie: «Seien Sie kein Narr, marquese –»
    Doch bevor di Sangro noch irgendetwas tun oder sagen konnte, wandte St. Germain sich ab, schloss die Augen und ließ sich von der Mauer hinunter in den Fluss fallen.
    Er fiel klatschend ins Wasser und versank tief in der trüben Dunkelheit. Einen Augenblick lang verlor er die Orientierung; er drehte sich um sich selbst und wusste nicht, wo oben und wo unten war. Mit rudernden Armen wirbelte er ziellos umher. Der Druck pochte in seinen Ohren, und seine Lunge lechzte nach Luft. Er versuchte sich zu beruhigen, aber die Kälte schnitt in seine Glieder, und ein wattiges Gefühl machte sich in seinem Kopf breit. Er sank immer tiefer, doch dann sah er etwas wie einen Lichtreflex über sich. Er wollte darauf zu schwimmen, aber das Gewicht seiner Kleider zog ihn weiter hinunter. Er krümmte sich, und es gelang ihm, die nassen Schuhe abzustreifen, aber Reihen von Knöpfen verschlossen seine Kleider, Schicht um Schicht der feinsten Stoffe – Kniehosen, Hemd, Halstuch, Weste und Justaucorps spannten sich fest um seinen Körper und behinderten seine Bewegungen.
    Es war, als lange der Teufel selbst aus der Tiefe herauf und ziehe ihn zu sich hinab in den Tod. Einen kurzen Augenblick lang empfand er eine perverse Erleichterung darüber, dass hier und jetzt alles zu Ende sein sollte, aber irgendetwas ließ ihn um sein Leben kämpfen, und er ruderte verzweifelt mit Armen und Beinen, bis er wieder an die Oberfläche kam.
    Zwischen altem Holz und verfaultem Obst trieb er die Seine hinunter. Die Île de la Cité lag hinter ihm; er wurde langsam zurück in Richtung der Tuilerien zurückgetragen. Er mühte sich gegen die Strömung, schluckte immer wieder große Mengen des fauligen Wassers und hustete es wieder heraus. Noch immer hingen seine durchnässten Kleider schwer an ihm, und seine Arme schlugen blindlings gegen Treibholz und Unrat. Er kämpfte, wie er noch nie gekämpft hatte, um sich über Wasser zu halten und am Leben zu bleiben, um das rechte Ufer und trockenen Boden zu erreichen. Stück für Stück rückten die am Kai zu seiner Rechten flackernden Lagerfeuer der Obdachlosen näher, und als er schließlich einen rostigen Eisenring an der Kaimauer zu fassen bekam, hatte er jedes Gefühl verloren.
    Der Graf zog sich aus dem Wasser und blieb auf dem Rücken liegen; dankbar schnappte er nach Luft, bis er wieder so etwas wie Leben in seinem Körper spürte. Er wusste nicht, ob Minuten oder Stunden vergangen waren, aber es war noch dunkel, als er eine bekannte Stimme hörte. Er glaubte zu träumen, als kurz darauf Thérésias Engelsgesicht aus dem Sternenhimmel zu ihm herunterstrahlte und Worte murmelte, die er nicht verstand.
    Ein Mann packte ihn unter den Schultern und richtete seinen zerschundenen Körper auf, und einen Augenblick später fühlte er sich mit Thérésias Hilfe in eine dicke Wolldecke gehüllt und auf die behaglichen Polster einer großen Kutsche gelegt, die ihn wegtrug von den Ratten und Briganten und hinein in die dunklen Straßen der Lichterstadt.
     
    Auf der Fahrt zu Thérésias Wohnung stellte St. Germain zahllose Fragen, und sein verwirrter Kopf hatte Mühe, ihre Antworten zu sortieren.
    Sie habe bemerkt, sagte sie, dass ihn auf dem Ball etwas erschreckt habe, und als er den Palast verließ, sei ihm ein als Tiger verkleideter Mann gefolgt. Sie war kurz danach aufgebrochen, weil sie das Interesse verloren hatte, und ihr Kutscher hatte berichtet, dass der Mann dem Grafen gefolgt und seinem Wagen nachgeritten sei. Nichts Gutes ahnend, war sie ebenfalls hinterhergefahren und hatte den Kampf von der Brücke aus mit angesehen, aber nicht gewagt, einzugreifen. Als St. Germain in den Fluss gesprungen war, hatte sie geglaubt, er sei ertrunken, aber ihr Kutscher hatte ihn mitten im Fluss treiben sehen, daher seien sie ihm gefolgt.
    St. Germain war nur froh, am Leben und bei ihr zu sein. Tief im Herzen wusste er, dass es nicht von Dauer sein würde, aber daran wollte er jetzt nicht denken. Er ließ sich in ihre tröstenden Arme sinken und versuchte, die Welt zu vergessen, solange es ging.
    Sie brachte ihn in ihre Wohnung im neuerdings in Mode gekommenen Viertel Marais und ließ von ihrem Hausmädchen ein heißes Bad bereiten. Sie half ihm, sich

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