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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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von den Hufen der Pferde, die sich langsam näherten. Er legte sich rücklings auf die blockierte Tür, zog die Knie an und trat die Tür über sich auf. Dann stemmte er sich durch die Öffnung ins Freie. Nach dem Sturz tat ihm jeder Knochen weh. Er ließ sich von der Kutsche zu Boden gleiten und schaute die Straße entlang. Sein Kutscher lag reglos am Boden. Zornig richtete St. Germain sich auf.
    Di Sangros Sohn war inzwischen zu den drei Reitern gestoßen. «Bravo, ragazzo mio» , gratulierte di Sangro seinem Sohn. « Sei stato grande – gut gemacht.» Dann wandte er sich St. Germain zu.
    Die vier Reiter ragten vor ihm auf, von hinten beleuchtet von der trüben Laterne, die leise über ihnen hin- und herschwang.
    Di Sangro trieb sein Pferd noch ein paar Schritte voran, ohne seine Beute aus den Augen zu lassen. «Ein schönes Leben haben Sie sich da eingerichtet, marquese . Paris wird betrübt sein, Sie zu verlieren.»
    «Und was für Paris ein Verlust ist, ist ein Gewinn für Neapel, ja?», fauchte St. Germain.
    Di Sangro stieg lächelnd ab. «Vielleicht nicht für ganz Neapel, aber für mich sicher.» Sein Sohn sprang ebenfalls aus dem Sattel; die beiden anderen blieben sitzen. Der Fürst trat auf ihn zu und betrachtete ihn, als sehe er ihn zum ersten Mal. «Sie sehen gut aus, marquese . Sehr gut sogar. Könnte es daran liegen, dass diese Pariser Dreckluft Ihnen so gut bekommt?»
    St. Germain antwortete nicht. Angespannt blickte er zwischen di Sangro und seinem Sohn hin und her. Die Ähnlichkeit war ausgeprägt, vor allem in den Augen und zumal jetzt, da der Knabe zum Mann geworden war. Di Sangro selbst war in den zurückliegenden Jahren sichtlich gealtert; er war beleibter und bleicher, die Haut im Gesicht und am Hals war schlaff und faltig. St. Germain verfluchte sich dafür, dass er die Verbindung nicht schon früher erkannt, dass er nicht begriffen hatte, wer der junge Mann war, als er ihn in dem Café das erste Mal gesehen hatte. Er hatte immer damit gerechnet, dass di Sangro ihn irgendwann aufspüren würde. Sein Leben in Paris war jetzt vorbei, das wusste er, aber wenn er noch eine Chance haben wollte, sich eine neue Existenz aufzubauen, musste er unverzüglich etwas unternehmen.
    In rasender Hast spielte sein Verstand die Möglichkeiten durch – viele gab es nicht. Ein Gedanke jedoch strahlte durch die düsteren Szenarien wie ein Leuchtfeuer, eine schlichte Erkenntnis, die sich aus den verschiedenen Konfrontationen mit di Sangro im Laufe der Jahre herauskristallisiert hatte: Di Sangro brauchte ihn lebend. Die Drohungen, die ihn zum Reden bringen sollten, waren hohle Phrasen. Di Sangro würde sein Möglichstes tun, um ihn am Leben zu erhalten, und jede noch so grausige Methode, die ihm zur Verfügung stand, zum Einsatz bringen, um die Wahrheit aus ihm herauszupressen – ganz gleich, wie lange es dauerte.
    Aber diese Erkenntnis war ein zweischneidiges Schwert. Am Leben zu bleiben war nur so lange erstrebenswert, wie er frei war. Gefangenschaft und Folter erschienen sehr viel weniger verlockend – außerdem bezweifelte er, dass sein Widerstand lange Bestand haben würde.
    Er war umzingelt. Die beiden Reiter standen rechts und links von ihrem Herrn und versperrten ihm den Fluchtweg. Hinter ihm befand sich eine Hauswand und eine seit dem Sonnenuntergang verschlossene Tür. Hinter di Sangro und seinem Sohn war die niedrige Mauer am Fluss.
    St. Germain holte tief Luft und zog seinen Degen. «Sie wissen, dass ich nicht mit Ihnen gehen kann», sagte er nüchtern. «Und hier gibt es für Sie nichts zu holen.»
    Di Sangro lächelte kalt und deutete auf seine Männer. «Ich glaube, Sie haben keine Wahl, marquese .» Er zog ebenfalls seinen Degen und richtete ihn auf St. Germain. Sein Sohn tat es ihm nach. Aus dem Augenwinkel sah der Graf, dass die Reiter ihre Armbrüste wieder schussbereit hielten.
    St. Germain schob sich seitwärts und hielt den Fürsten und seinen Sohn mit der Degenspitze von sich fern. So sehr es ihn erschöpft hatte, seine Bürde über die Kontinente zu tragen – dies war nicht die Befreiung, die er sich wünschte. Er würde sich nicht gefangen nehmen lassen, nicht von diesem Mann. Er war bereit, bis zum letzten Atemzug Widerstand zu leisten, auch wenn das Geheimnis, soweit er wusste, dann mit ihm sterben würde. War das am Ende vielleicht gut so – oder war er es der Welt schuldig, dieses Wissen am Leben zu erhalten, selbst wenn es dann in den Händen eines wahnsinnigen,

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