Immortalis
selbstsüchtigen Mannes wie di Sangro ruhte?
Nein, er musste frei bleiben. Er musste am Leben bleiben. Er war noch nicht bereit, zu sterben. Und auch das war ihm jetzt klar: Er durfte das Geheimnis nicht länger für sich behalten. Es war zu gefährlich. Wenn es ihm noch einmal gelingen sollte, davonzukommen und seine Suche fortzusetzen, musste er sich Gehilfen suchen, ungeachtet der damit verbundenen Gefahren. Er musste sie nur umsichtig auswählen.
Wilde Entschlossenheit durchströmte ihn, und er stürzte sich wütend auf die beiden Männer. Das Klirren ihrer Klingen hallte laut durch die verlassene Straße. Er bemerkte sofort, dass di Sangro seit ihrer letzten Begegnung langsamer geworden war. Aber sein Sohn machte diese Schwäche wett. Der junge Mann war ein begabter Fechter. Er konterte St. Germains Angriffe mit der Effizienz eines Chirurgen und schien jede seiner Bewegungen unfehlbar vorauszusehen. Der Fürst wich zurück und begnügte sich damit, St. Germain den Fluchtweg zu versperren, während sein Sohn degenschwingend auf den Grafen losging. Seine Kapuze war zurückgefallen. Im matten Schein der nahen Laterne sahen die Tigerstreifen in seinem Gesicht jetzt wahrhaft dämonisch aus, und sein Raubtierblick war beklemmend.
Die Klinge des Jungen schnitt jetzt immer schneller und bösartiger durch die Luft, und St. Germain hatte Mühe, die Angriffe zu parieren. Sie sprangen durch den stinkenden Schlamm der Gosse in der Mitte der Straße. St. Germain machte einen Sprung zur Seite, um einem schwungvollen Degenstreich auszuweichen; dabei blieb er mit dem Schuh hängen und verlor das Gleichgewicht. Di Sangros Sohn nutzte die Gelegenheit und griff sofort an. Der Graf fing sich und warf sich nach rechts, aber er konnte der Klinge nicht ganz entgehen: Sie schnitt in seine linke Schulter. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihn. Er riss seinen Degen gerade noch rechtzeitig hoch, um den nächsten Schlag abzufangen, und sprang zurück auf die Füße, um sich wieder in Stellung zu bringen.
Sie umkreisten einander wie zwei Dschungelkatzen, die Blicke ineinandergebohrt. Das Klirren der Degen war verstummt, man hörte nur ihren keuchenden Atem. Ein hämisches Lächeln kräuselte die feinen Lippen des jungen Mannes; er warf seinem Vater einen kurzen Seitenblick zu, und dieser nickte erfreut und beifällig. St. Germain spürte, wie das Blut in seinem Ärmel herunterrann, aber er sah auch, dass der Stolz des Vaters den jungen Mann übermütig und unvorsichtig werden ließ. Seine Verletzung kühlte sich ab. Bald würde der Schmerz stärker werden, und seine Muskeln würden erstarren. Er musste schnell handeln, auch wenn klar war, dass er nicht alle vier Männer besiegen konnte.
Er wusste, wo er zuschlagen musste.
Er nahm seine ganze Kraft zusammen und stürzte sich mit neuerlicher Wut auf den Sohn des Fürsten; seine Klinge umschwirrte ihn von allen Seiten und trieb ihn ein paar Schritte zurück, bis er wieder im Unflat der Gosse stand. St. Germains entschlossener Angriff schien di Sangros Sohn zu verblüffen, und während er versuchte, den irrwitzigen Hagel der Stöße und Streiche abzuwehren, warf er seinem Vater einen unsicheren Blick zu, als suche er Unterstützung. Seine Deckung war für einen Sekundenbruchteil offen, und St. Germain griff an. Seine Klinge bohrte sich in die Seite des jungen Fechters und ließ ihn vor Schmerz aufheulen.
Mit entsetztem, beinahe ungläubigem Blick stolperte der junge Mann zurück, hielt sich die Wunde und hob dann seine blutige Hand vor das Gesicht. Di Sangro, der sah, wie sein Sohn durch die Gosse taumelte, stürzte auf ihn zu und rief entsetzt seinen Namen: «Arturo!» Sein Sohn schüttelte den Schmerz ab, hob die Hand, um seinen Vater zurückzuhalten, und wandte sich St. Germain zu. Er hob den Degen, aber beim ersten Schritt knickten seine Knie ein.
«Prendetelo!» , schrie di Sangro seinen Leuten zu – «Ergreift ihn!» – und kam seinem Sohn zu Hilfe. Die beiden Reiter sprangen von ihren Pferden und kamen auf St. Germain zu. Sie versperrten die Straße nach beiden Richtungen. Ihre Waffen glänzten in der Dunkelheit. Er sah sich um. Die niedrige Mauer am Straßenrand war zum Greifen nah. Er nahm Anlauf, warf seinen Degen hinüber und kletterte hinauf. Ein flammender Schmerz schoss durch seine Schulter, als er sich hinaufzog. Dann richtete er sich auf.
Unter ihm floss träge die Seine, kalt und dreckig. Der Anblick des im Mondlicht funkelnden Wassers war keineswegs
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