I#mNotAWitch 1
Schwestern. Jedenfalls konnte ich sie mir nicht anders erklären.
Brennen
Drei Schwestern, die jüngste verloren, versteigert, verkauft.
Die älteste in Gram, weil nicht sie, die ausersehen.
Die mittlere in Furcht, weil nicht sie, die Kraft besitzt.
Die jüngste in Blut getaucht, weil es sie, die Stimmen hört.
Welche von ihnen war sie? Wieder sah ich zurück auf die erste Seite, die ihre Familienangehörigen aufführte. Ja, sie war die jüngste Schwester. Genauso wie ich.
Und dann fiel mein Blick auf das Datum, an dem dieses Gedicht geschrieben worden war. Am ersten November.
Ich spürte, wie eine Gänsehaut meinen ganzen Körper befiel. Ich fuhr mit den Fingern über die Tinte, die seit hundert Jahren längst getrocknet war. Drei Schwestern. Wie Savannah, Phoebe und ich. Und die jüngste in Blut getaucht. Dieses Gedicht schien von der letzten Nacht zu handeln, in der meine Mutter meine Wange aufgeschnitten hatte, um drei Tropfen Blut von mir zu entnehmen.
Hatte Theresa Donovan etwa die selben Erfahrungen gemacht wie ich? War sie die letzte Hexe gewesen, die für die Kräfte ihrer Generation verantwortlich war? Hatte sie dem Teufel einen Sohn ausgetragen?
Deshalb also hatte meine Mutter den Ring mir geschenkt. Weil mich das selbe Schicksal erwartete.
Im ersten Moment wollte ich das Buch wütend zuschlagen, aber ich beherrschte mich und blätterte mit zitternden Fingern weiter. Jetzt also würde ich erfahren, wie es weitergehen würde. Oder vielleicht auch nicht? Vielleicht sollte meine Geschichte nun anders verlaufen? Sonst hätte meine Mutter mir doch sicherlich etwas über den weiteren Verlauf erklärt. Oder wollte sie mich wieder anlügen, bis ich im letzten Augenblick nicht mehr weglaufen konnte?
Ihre komplizierten, heimlichen Pläne brachten mich umso mehr gegen sie auf. Warum konnte sie nicht einmal ehrlich zu mir sein? Warum war sie nicht von Anfang an ehrlich zu mir gewesen? Weil ich sonst früh genug einen Rückzieher gemacht hätte. In welcher Form auch immer. So hatte sie mich lange genug manipulieren können, bis sie ihre Kräfte erhielt.
Das folgende Gedicht war drei Tage später verfasst worden. Die Tinte war leicht verwischt, so als wäre Wasser – in Form von Regen, Tränen, was auch immer – an die Seite gelangt.
Verstecken
Heimlich blinzelst du mir zu.
Ich wünschte, dass ich zu dir kommen und dich vor den Augen aller Leute umarmen könnte.
Heimlich treffen wir uns am See, wo der Mond sich im Wasser spiegelt.
Ich wünschte, dass ich mit dir dort eintauchen und die Welt für immer hinter mich lassen könnte.
Heimlich lege ich meine Hand auf deine Brust, spüre den Schlag deines reinen Herzens.
Ich wünschte, dass ich dein Herz herausreißen und überallhin mitnehmen könnte.
Heimlich legst du deine Lippen auf meine, atmest für mich, mit mir.
Ich wünschte, dass unser beider Atem zur selben Zeit für immer versiegte.
Jetzt wurde es eindeutig. Theresa hatte jemanden geliebt, den sie nicht lieben durfte. Trotzdem hatte sie sich weiterhin mit ihm getroffen. Ich wischte mir eine kleine Träne, die sich in meinem Augenwinkel verirrt hatte, schnell beiseite. Dieses Tagebuch erzählte die Geschichte eines sechzehnjährigen Mädchens, das an den Teufel versteigert wurde, obwohl es einen anderen Jungen liebte. Aber wie ging es wohl weiter?
Die nächsten Eintragungen wurden wieder neutraler. Kurz und knapp berichtete sie von Wetterumschwüngen, von der Hochzeit ihres ältesten Bruders und von seltsamen Träumen, die sie nicht genauer zu deuten versuchte. Kein Wort mehr über diesen geheimnisvollen Jungen.
Erst einige Seiten später entdeckte ich etwas, das mir einen geringen Hinweis auf ihn gab, wenn ich mich nicht irrte.
Lügen
Ich hatte den Schlüssel versteckt. Mein Herz war verriegelt. Niemand konnte hineinsehen.
Aber die Stimme kannte mein Vergehen.
Nun verlangt sie, dass ich ihn vergesse,
dass ich den Schlüssel, mein Herz, den Inhalt versenke.
Ich sage Ja.
Ich werde den Schlüssel verstecken. Mein Herz verriegeln. Niemand wird hineinsehen.
Jemand verlangte von ihr, dass sie ihren Geliebten aufgab, aber das wollte sie nicht tun. Sie versprach es, doch es war nur eine notgedrungene Lüge. Wem gehörte diese Stimme? Auch in dem Gedicht, in dem es um die Zeremonie ging, hatte sie geschrieben, dass die jüngste Schwester Stimmen vernahm. Das war bei mir nicht der Fall. Bislang jedenfalls nicht. Oder doch? Kurz schien eine Erinnerung aufzuflackern, von einem seltsamen
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