I#mNotAWitch 1
blätterte die alten Tagebücher unserer Vorfahren durch. Seit ich das Bild mit der Fledermaus und dem Raben im Haus der Vampire gesehen hatte, ging es mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich kannte es von irgendwoher, daher durchforstete ich nun alle Unterlagen, die ich in den Regalen hatte auftreiben können.
Unsere Bibliothek war im Grunde nur eine kleine Kammer, in deren Mitte ein Holztisch mit klapprigen Hockern stand. Die Bücher hier drin verströmten ihren üblichen, verstaubten Geruch nach Papier, den ich so liebte.
Und während die Abendsonne rapide unterging und den Himmel in ein Kunstwerk aus blutroten Farben verwandelte, saß ich auf der Fensterbank und sah mir die Titel der Tagebücher an.
Auch wenn der Raum ganz schön eng war, hatten wir unseren Hexenunterricht meist hier abgehalten. Irgendwie passten wir alle herein, saßen um den Tisch herum und besprachen die alten Sprüche und Legenden, als wären sie noch völlig aktuell.
Obwohl ich diese Stunden immer verabscheut hatte, konnte ich mich dem Charme dieses Raumes nicht entziehen. All die vergangenen Geschichten aus den Büchern, die in den Regalen standen, schienen leise Stimmen zu haben, die mich immer zu trösten verstanden. Dieser Raum gab mir ein Gefühl der Behaglichkeit und Sicherheit. Dabei erinnerte ich mich auch gerne an frühere Ereignisse, als Phoebe und ich noch jünger waren und Savannah regelmäßig ärgerten, während sie über uns wachte, damit wir wirklich etwas lernten. Unser leises Kichern hier hallte noch immer in meinen Ohren nach.
Die Buchdeckel fühlten sich abgegriffen und zum Teil auch staubig an. Ich entdeckte Namen, von denen ich noch nie zuvor etwas gehört hatte. Jeremiah Linwood. Emily Anderson. Jane Rigby. Ich blätterte durch ihre Tagebücher, suchte nach diesem Bild, das sich in mein Gedächtnis gekrallt hatte. Aber ohne Erfolg.
Weitere fünf Tagebücher später lehnte ich meine Stirn gegen die Fensterscheibe, betrachtete die Garage, die man von hier oben gut erkennen konnte, und entdeckte dabei Samuel, der die Fensterscheiben gerade aus einem Truck hievte.
Im selben Moment blickte er zufälligerweise zu mir hoch und lächelte mich kurz an.
Ich winkte ihm zu und setzte mich dann wieder auf. Mein Blick glitt über die Bücher, die in dem angrenzenden Regal standen. So viele Namen. So viele Vorfahren.
Plötzlich sprang mir ein Name ins Auge, den ich allzu gut kannte. Theresa Donovan. Meine Ururgroßtante, die mir ihren Rubinring vermacht hatte. Das Buch hatte ich bei meiner vorigen Suche gar nicht bemerkt.
Interessiert hüpfte ich von der Fensterbank und nahm das Buch zur Hand, um mich damit an den Tisch zu setzen.
Auf dem Buchdeckel stand in einer fein säuberlichen Schrift ihr Name. Die nächsten Seiten enthielten ihr Geburtsdatum und die Namen ihrer Familienangehörigen. Ich blätterte weiter und entdeckte statt irgendwelcher Tagebucheinträge kurze Gedichte, die sie sich wohl selbst ausgedacht hatte. Wie alt war sie da eigentlich gewesen? Erneut sah ich auf die ersten Seiten. Sie war am 30. September 1896 geboren. Die Gedichte waren mit dem Jahr 1912 datiert. Also war sie sechzehn Jahre alt gewesen, als sie angefangen hatte, diese Gedichte zu schreiben. Genauso alt wie ich. Ich überflog das erste Gedicht:
Atmen
Als der nächtliche Blitzschlag meine Augen blendete, fing ich an zu sehen.
Die Farben waren plötzlich klar wie Glas, das unter Wasser gehalten wird.
Der Regen schimmerte wie die Perlen um Mutters Hals.
Und das Lächeln, das mein Herz eroberte, war doch nicht mehr als nur ein Traum.
Sie schien ein romantisches Mädchen gewesen zu sein, diese Theresa. Ich lächelte bei dem Gedanken daran, dass sie in ihrer Kammer im Kerzenlicht gesessen und diese Worte mit Bedacht aufgeschrieben hatte. Was hatte sie dabei gefühlt? Was sollten ihre Worte bedeuten? Wer war diese Frau, von der ich diesen wunderschönen, blutroten Rubinring geerbt hatte?
Auch ihre nächsten Gedichte waren voller Leidenschaft. Sie beschrieb das Leben um sich herum, die Landschaft, den Himmel, und manchmal hatte ich auch den Eindruck, dass sie über ihre Familie, insbesondere über ihre Geschwister, schrieb, mit denen sie spielte und tanzte und Geschichten austauschte.
Aber dann veränderte sich ihre Stimmung plötzlich. Ich konnte es an ihrer Schrift erkennen, da sie immer unordentlicher wurde, so als hätte sie schnell geschrieben oder als wäre sie aufgebracht.
Die nächsten Worte beschrieben offenbar ihr Verhältnis zu ihren
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