Imperator 01 - Die Tore von Rom
Knaben, der er einmal gewesen war, zeigte sich nur noch sporadisch. Ohne auch nur ein einziges freundliches Wort hatte Renius ihn in den drei langen Jahren mit der Peitsche gelehrt, seine Gefühle und Reaktionen zu beherrschen. Auch er hatte gut entwickelte Schultern und Arme, die in blitzschnellen Fäusten endeten, mit denen Gaius nicht mehr mithalten konnte. Der Wunsch, endlich alleine bestehen zu können, ohne die Hilfe seiner Verwandten oder der Gönnerschaft anderer, fraß von innen an ihm wie eine ätzende Säure.
Weil Renius sie beobachtete, beruhigten sich die beiden Jungen, nahmen Haltung an und musterten ihn aufmerksam. Es war durchaus nicht ungewöhnlich für ihn, urplötzlich in einen schutzlosen Bauch zu boxen, denn er stellte ihre Schwächen immer wieder auf die Probe.
»Gladii, meine Herren. Holt eure Schwerter.«
Wortlos drehten sie sich um und nahmen die Kurzschwerter von den Haken an der Mauer des Ausbildungshofes. Sie schnallten sich die schweren Ledergürtel um die Taille, an denen lederne »Frösche« als Halterung für das Schwert befestigt waren. Die Schwertscheide passte genau durch den Frosch und wurde mit Schnüren fixiert, damit sie hielt, wenn das Schwert ruckartig gezogen wurde.
Ordnungsgemäß gerüstet kehrten sie auf ihre Plätze zurück, nahmen Haltung an und erwarteten den nächsten Befehl.
»Gaius, du siehst zu. Ich zeige dir an dem Jungen etwas Grundsätzliches.« Renius lockerte mit einem Knacken seine Schultern und grinste, als Marcus langsam sein Schwert zog.
»Erste Position, Junge. Stell dich hin wie ein Soldat, falls du überhaupt weißt, wie das geht.«
Marcus entspannte sich und nahm die erste Position ein: die Beine etwa schulterbreit auseinander, den Körper leicht zur Seite gedreht. Das Schwert hielt er in Hüfthöhe, bereit nach den drei Hauptangriffszielen zu schlagen: Unterleib, Bauch und Hals. Unterleib und Hals waren am wichtigsten, weil ein Treffer dort den Gegner innerhalb von Sekunden verbluten ließ.
Renius verlagerte das Gewicht, und Marcus’ Schwertspitze folgte seiner Bewegung.
»Säbelst du wieder in der Luft herum? Wenn du das tust, sehe ich es sofort und erkenne dein Muster. Ich brauche nur eine winzige Öffnung, um dir die Kehle herauszuschneiden, nur einen einzigen Schlag. Wenn ich erraten kann, wohin du dein Gewicht als Nächstes verlagerst, schlage ich dich in zwei Hälften.« Er schritt langsam im Kreis um Marcus herum, der mit hochgezogenen Augenbrauen über einem ansonsten ausdruckslosen Gesicht ruhig stehen blieb. Renius redete weiter.
»Du willst mich töten. Stimmt’s, Junge? Ich kann deinen Hass fühlen . Ich kann ihn fühlen , wie einen guten Wein in meinem Bauch. Ich genieße ihn richtig, Junge. Kannst du dir das vorstellen?«
Ohne jegliche Vorwarnung griff Marcus mit einer plötzlichen Bewegung an. Es hatte ihn Hunderte Stunden harten Drill gekostet, alle seine verräterischen »Anzeichen« auszumerzen, diese winzigen Bewegungen der Muskeln, die seine Absicht preisgaben. Egal, wie schnell er war, ein guter Gegner würde ihn töten, wenn er vor jeder Bewegung seine Gedanken so unbedacht preisgab.
Renius stand nicht mehr da, wo Marcus’ Gladius hinstieß. Renius’ Schwertspitze war an Marcus’ Kehle.
»Schon wieder. Du warst wie immer ungeschickt und langsam. Wenn du nicht schneller wärst als Gaius, wärst du der schlechteste Kämpfer, den ich je gesehen habe.«
Marcus stand noch mit offenem Mund da, als er im Bruchteil einer Sekunde den sonnenwarmen Gladius an der Innenseite seines Oberschenkels spürte, an der Schlagader, durch die sein Leben pulsierte.
Renius schüttelte angewidert den Kopf.
»Niemals dem Gegner zuhören. Gaius schaut zu, und du kämpfst. Du konzentrierst dich auf meine Bewegungen, nicht auf das, was ich sage. Die Worte dienen nur dazu, dich abzulenken. Noch einmal!«
Im Schatten des Hofes umkreisten sie einander erneut.
»Deine Mutter war im Bett zuerst ein wenig ungeschickt.« Renius’ Schwert schlängelte bei diesen Worten nach vorn, wurde aber mit einem metallischen Klirren zur Seite geschlagen. Marcus sprang vor und drückte seine Klinge an die alte, ledrige Haut von Renius’ Kehle. Sein Gesicht war kalt und unnachgiebig.
»Das war vorhersagbar«, murmelte Marcus, trotz aller Selbstkontrolle gereizt. Er hielt dem Blick der kalten, blauen Augen stand.
Doch im selben Moment spürte er eine leichte Berührung und sah an sich herunter. In der linken Hand hielt Renius einen Dolch, den er leicht
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