Imperator 01 - Die Tore von Rom
alles vergaßen. Er zuckte die Achseln. Manche Männer blieben eben immer Tiere, und andere waren Männer.
Marcus kam mit gezogenem Schwert auf den Hof. Er lächelte.
»Soll ich neben dir stehen, Renius? Und deine linke Seite für dich decken?«
»Wenn ich Hilfe brauche, Kleiner, frage ich dich. Bis es so weit kommt, kannst du zum Tor gehen und Ausschau halten. Ruf mich, wenn du einen größeren Haufen kommen siehst.«
Marcus salutierte, viel zackiger als der Koch, aber ein wenig zu lange. Renius konnte seine Unverschämtheit spüren und überlegte, ob er dem Jungen dafür die Zähne einschlagen sollte. Nein, im Augenblick konnte er diese törichte, jugendliche Selbstsicherheit gut gebrauchen. Er würde schon noch früh genug herausfinden, wie es war, jemanden zu töten.
Als die Männer zurückkehrten, stellte er sie als Posten auf die Mauern. Sie waren viel zu wenige, doch er glaubte an das, was er zu Caecilius gesagt hatte. Die Außengebäude würden zweifellos niedergebrannt werden; die Kornspeicher würden geplündert und die Tiere geschlachtet werden, aber die Hauptgebäude waren dem Pöbel wohl kaum die Toten wert, die es kosten würde, sie einzunehmen. Eine Armee könnte das Gut in wenigen Minuten erobern, das wusste er wohl, aber hier handelte es sich um Sklaven, die berauscht waren von gestohlenem Wein und einer Freiheit, die sich in der Morgensonne wieder in Nichts auflösen würde. Ein starker Mann mit einem guten Schwertarm und einem unbarmherzigen Temperament konnte so eine wilde Meute durchaus aufhalten.
Von Julius und Cabera war immer noch nichts zu sehen. Ohne Zweifel legte der Erstere gerade seinen Brustpanzer und seine Beinschienen an, die vollständige Uniform. Doch wohin war der alte Heiler verschwunden? Sein Bogen dürfte sich in den ersten Minuten des Blutvergießens als wirkungsvolle Waffe erweisen.
Die Männer auf den Mauern schnatterten aufgeregt und nervös durcheinander wie eine Schar Gänse.
»Ruhe!«, brüllte Renius. »Der Nächste, der etwas sagt, kommt herunter und hat sich hier vor mir zu verantworten.«
Jetzt, wo das Geschnatter plötzlich verstummt war, konnten sie wieder die Schreie und Rufe der Sklaven in den Feldern draußen hören.
»Wir müssen hören können, was draußen passiert. Seid still und macht eure Muskeln warm. Haltet Abstand zu eurem Nebenmann, damit ihr ausholen könnt, ohne ihm den Kopf abzuschneiden.«
Die kleinen Grüppchen der Männer, die sich gebildet hatten, weil keiner alleine sein wollte, lösten sich auf. In den Augen aller war Furcht zu sehen. Renius fluchte leise vor sich hin. Mit zehn guten Männern aus seiner alten Legion könnte er den Hof bis zum Morgengrauen halten. Das hier waren nur Kinder mit Stöcken und Messern. Er atmete tief durch und suchte nach Worten, mit denen er ihnen Mut machen konnte. Selbst die eisernen Legionen hatten Ansprachen gebraucht, damit sie richtig heiß wurden, obwohl sie auf ihre Fähigkeiten vertrauen konnten.
»Ihr könnt nirgendwohin fliehen. Wenn der Pöbel an euch vorbeikommt, müssen alle in diesem Haus sterben. Das ist eure Verantwortung. Ihr dürft euren Posten nicht verlassen, wir sind ohnehin viel zu wenige. Die Mauer ist nur vier Fuß breit, das ist ein langer Schritt. Prägt euch das ein – wenn ihr weiter als einen Schritt zurückweicht, fallt ihr hinunter.«
Er sah, wie sich die Männer auf der Mauer hin und her bewegten und sich mit der Breite vertraut machten. Seine Gesichtszüge versteinerten.
»Ich lasse ein paar Kämpfer hier unten im Hof, die sich um jeden kümmern, der es über die Mauer schafft. Schaut nicht nach unten, selbst dann nicht, wenn ihr seht, dass eure Freunde vor euren Augen umgebracht werden.«
Cabera kam mit dem frisch gespannten Bogen in der Hand aus einem Gebäude.
»So machst du ihnen Mut? Gründet sich euer Imperium auf solche Ansprachen?«, sagte er leise.
Renius blickte ihn finster an. »Ich habe noch nie eine Schlacht verloren. Weder mit meiner Legion noch in der Arena. Noch nie ist ein Mann, der unter meinem Kommando stand, davongelaufen oder schwach geworden. Wenn du wegrennst, musst du an mir vorbei, und ich renne bestimmt nicht weg.«
»Ich werde nicht weglaufen«, sagte Marcus deutlich in die Stille hinein.
Renius sah ihm in die Augen und entdeckte dort eine Ahnung von jenem Wahnsinn, der ihm schon früher aufgefallen war.
»Ich auch nicht, Renius«, sagte ein anderer.
Die anderen nickten alle und murmelten leise, eher wollten sie sterben, doch in ein
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