Imperator 02 - König der Sklaven
unterging, und Julius machte sich unverzüglich daran, die Hüllen von den verbliebenen Schilden zu reißen. Bei jedem wurde die Menge lauter, und diejenigen, die etwas sehen konnten, gaben ihre Beschreibungen brüllend nach hinten weiter. Kleine Kinder wurden auf die Schultern ihrer Eltern gehoben, damit sie besser sehen konnten, Fäuste wurden voller Begeisterung in die Luft gereckt. Auf den Schilden waren Szenen aus Marius’ Leben abgebildet, seine Schlachten in Afrika, der Triumphzug durch die Straßen Roms, sein stolzer Widerstand, als er auf den Mauern der Stadt auf Sulla wartete.
Vor dem letzten Schild angekommen, legte Julius eine effektvolle Pause ein, und wie auf ein geheimes Signal hin verstummte die Menge. Dann zog er den Stoff herunter und enthüllte den letzten Schild. Er glänzte im Morgenlicht, war aber völlig leer.
In die Stille hinein sprach Julius mit lauter Stimme: »Volk von Rom! Das letzte Bild gestalten wir am heutigen Tag!«, und die Zuschauer brachen in tosenden Jubel aus. Der Prätor stand auf und rief seinen Wachen Befehle zu. Der Abstand zwischen Zuschauermenge und Gericht wurde vergrößert, indem die Soldaten die Leute mit ihren Stöcken zurückdrängten. Die Menge wich nur widerwillig, stieß trotzige Drohungen aus und verhöhnte Antonidus. Dann wurde abermals Marius’ Name skandiert, und es klang, als stimme ganz Rom ein.
Cornelia sah im grauen Licht, wie sich Tubruk zu Clodia neigte und sie küsste. Er war so zärtlich, dass es fast schmerzte, dabei zuzusehen, aber sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie hielt sich hinter einem dunklen Fenster vor ihnen versteckt und fühlte sich einsamer als je zuvor. Clodia würde um ihre Freiheit bitten, dessen war sie sich sicher, und dann hatte sie niemanden mehr.
Cornelia erkundete die wunden Stellen ihrer Erinnerungen und lächelte bitter. Es hätte alles ganz anders sein sollen. Julius wirkte so voller Kraft und Leben, während er Rom in seine Hände nahm, aber nichts davon blieb für sie übrig. Sie erinnerte sich an die Worte, die damals, als Marius noch am Leben war, aus ihm herausgesprudelt waren. Sie hatte ihm eine Hand auf den Mund legen müssen, damit die Sklaven ihres Vaters nicht hörten, dass er heimlich bei ihr war, mit ihr sprach und mit ihr lachte. Damals war so viel Freude in ihm gewesen. Jetzt war er ein Fremder, und obwohl sie ihn ein- oder zweimal dabei ertappt hatte, dass er sie mit dem alten Feuer ansah, war es doch so alsbald wieder erloschen. Früher einmal hatte sie den Mut gefunden, ihn zu ermuntern, mit ihr zu schlafen, um das Eis zu brechen, das sich zwischen ihnen zu bilden drohte. Sie wollte es, träumte sogar davon, doch jedes Mal machte die Erinnerung an Sullas grobe Finger ihre Entschlossenheit zunichte, und sie versank wieder in ihren einsamen Albträumen. Sulla war tot, sagte sie sich, doch sie sah immer noch sein Gesicht vor sich, und manchmal nahm sie im Wind seinen Geruch wahr. Dann trieb sie das Entsetzen in ihr Bett, wo sie sich vor der Welt verkroch.
Tubruk legte den Arm um ihr Kindermädchen, und Clodia lehnte den Kopf an seine Schulter, flüsterte ihm etwas zu. Cornelia hörte sein leises, brummendes Lachen und beneidete die beiden um das, was sie gefunden hatten. Sie würde es nicht fertig bringen, Clodia ihre Bitte abzuschlagen, auch wenn der Gedanke, ihr Leben hier als vergessene Ehefrau zu verbringen, während Julius sich im Glanz der Stadt und seiner Legion sonnte, unerträglich war. Sie kannte sie, diese giftigen römischen Matronen mit den Ammen für ihre Kinder und den Sklaven, die die Hausarbeit verrichteten. Sie verbrachten ihre Tage damit, teure Kleider zu kaufen oder einen Kreis von Freundinnen zu unterhalten, was Cornelia wie einen vorzeitigen Tod empfunden hätte. Wie sie sie bemitleiden würden, wenn sie die Wahrheit über ihre lieblose Ehe aus ihr herauspressten.
Wütend rieb sie sich die Augen. Sie war zu jung, um sich von so etwas zugrunde richten zu lassen, sagte sie sich. Wenn es ein Jahr dauern sollte, um wieder zu genesen, dann würde sie eben so lange auf die Genesung warten. Obwohl Julius sich in der Gefangenschaft verändert hatte, steckte immer noch der junge Mann in ihm, den sie einst gekannt hatte. Derjenige, der sein Leben und den Zorn ihres Vaters riskiert hatte, um über die glatten Dächer in ihr Zimmer zu steigen. Wenn sie diesen Mann in Erinnerung behielt, wäre sie wieder fähig, mit ihm zu reden, und vielleicht würde auch er sich wieder an das Mädchen
Weitere Kostenlose Bücher