Imperator 03 - Das Feld der Schwerter
ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes im Gutshof, wobei Tabbic sie im Sattel festhielt. Kinder waren seltsam.
Er konnte sehen, dass Julia die Anmut ihrer Mutter geerbt hatte. Sie trug das Haar lang und mit einem Stoffstreifen im Nacken zusammengebunden. Immer wenn er redete, schien sie sich mit einer eigenartigen Intensität auf sein Gesicht zu konzentrieren, als wäre jedes seiner Worte kostbar. Er fragte sich, wie ihre Kindheit gewesen sein mochte, wie es für sie gewesen war, hier auf diesem Gut aufzuwachsen. Er hatte immer Julius gehabt, aber abgesehen von ihren Lehrern und Clodia musste es für seine Tochter sehr einsam gewesen sein.
»Erzähl mir von meinem Vater«, sagte sie und kam näher.
Brutus spürte, wie sein Bein zu schmerzen begann, und bevor seine Muskeln sich verkrampfen konnten, griff er nach dem Stock und ließ sich wieder auf dem Baumstumpf nieder. Er schaute in die Kammern seiner Erinnerung und musste lächeln.
»Als Kinder sind wir immer auf diesen Baum hier geklettert«, sagte er. »Julius war fest davon überzeugt, alles erklettern zu können, und er hat Stunden auf den unteren Ästen verbracht und versucht, höher zu gelangen. Wenn ich dabei war, konnte er auf meine verschränkten Hände steigen, aber selbst dann war der nächste Ast zu weit weg, als dass er ihn ohne zu springen erreicht hätte. Er wusste genau, wenn er ihn verfehlte, würde er auf den Kopf fallen und mich vielleicht mit sich reißen.« Er schwieg und lachte leise auf, als die Erinnerung über ihn hereinbrach.
Julia setzte sich neben ihn, am äußersten Rand des Baumstumpfes. Sogar von dort roch er das Blütenöl, das sie beim Baden benutzte. Er kannte die Blüte nicht, aber der Duft erinnerte ihn an den Sommer. Er atmete ihn tief ein und ließ sich nur einen Augenblick auf das Gedankenspiel ein, die kühle Haut in ihrem Nacken zu küssen.
»Ist er runtergefallen?«, fragte sie.
»Zweimal«, schnaubte Brutus. »Beim zweiten Mal hat er mich aus dem Baum gerissen, und ich habe mir die Hand verstaucht. Er hatte eine geschwollene Wange, als hätte er eine Ohrfeige bekommen, aber trotzdem sind wir noch einmal hinaufgeklettert, und dann ist er an den Ast herangekommen.« Er seufzte. »Ich glaube nicht, dass er noch einmal auf die alte Eiche geklettert ist. Für ihn gab es dort nichts mehr zu erreichen.«
»Ich wollte, ich hätte euch damals gekannt«, murmelte sie. Er sah sie an und schüttelte den Kopf.
»Nein, bestimmt nicht. Wir waren ein schwieriges Pärchen, dein Vater und ich. Verwunderlich ist nur, dass wir das alles überlebt haben.«
»Er kann froh sein, dass er dich zum Freund hat«, sagte sie und errötete ein wenig.
Brutus musste plötzlich daran denken, wie Alexandria diese Szene wohl sehen würde, wenn sie zufällig durch den Wald spaziert käme. Das Mädchen war viel zu attraktiv, um ihr den schneidigen jungen Soldaten, der aus dem Krieg heimgekehrt ist, vorzuspielen. Gleich würde er sie um ihren Arm bitten, um ihn auf dem Nachhauseweg zu stützen, und unterwegs würde er sich den einen oder anderen Kuss stibitzen. Der Blütenduft füllte seine Lunge, und er pfiff seine streunenden Gedanken zurück.
»Ich glaube, ich gehe wieder zurück, Julia. Dir ist doch bestimmt kalt.«
Völlig ohne seine Absicht glitt sein Blick über ihren Hals und die Rundung ihres Busens. Er wusste, dass sie es bemerkt hatte, und war wütend auf sich. Rasch schaute er in die andere Richtung und erhob sich.
»Kommst du mit?«, fragte er. »Es wird bald dunkel.«
»Dein Bein blutet wieder«, sagte sie. »Du hast die Fäden zu früh gezogen.«
»Nein. Ich habe genug Wunden gesehen, um das beurteilen zu können. Ab heute werde ich jeden Tag spazieren gehen oder reiten, um wieder zu Kräften zu kommen.«
»Wenn du willst, begleite ich dich«, sagte sie. Ihre Augen waren groß und dunkel, und er musste sich räuspern, um seine Unschlüssigkeit zu überspielen.
»Ich glaube nicht, dass ein hübsches Mädchen wie du …« Na, wunderbar. Er fing an zu stottern und verstummte. »Ich komme schon allein zurecht, danke.« Steifbeinig ging er den Pfad durch den Wald hinab in Richtung Haus und verfluchte sich mit aller Heftigkeit, die er aufbringen konnte.
Brutus führte seine Stute unter den kalten Sternen über den Haupthof zu den Stallungen. Nach dem anstrengenden Ritt war er immer noch ein wenig außer Atem. Er dachte an die in ihrem Zimmer schlafende Alexandria, und sein Gesicht verfinsterte sich. Nichts war so einfach, wie er
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