Imperator
Vielleicht hätten die Berater des Kaisers es zum Nutzen des Imperiums und des Kaisers selbst verwenden können. Stattdessen hast du sein Geheimnis für dich behalten, nicht wahr? Und du hast gehofft, mit seiner Hilfe Reichtümer anhäufen zu können – Reichtümer, die eigentlich dem Kaiser gehören.«
Severa wandte sich von Primigenius ab, als wäre sie angewidert, und richtete ihre Worte an Sabinus. »Schwiegersohn, du bist jetzt Senator. Kannst du dir nicht deine eigenen Gedanken machen? Siehst du nicht, was hier geschieht? All dieses Gerede von Geheimnissen und Lügen, von Eifersucht und Diebstahl – es ist die Paranoia des Kaisers in Reinkultur, als lebten wir alle in seinem Kopf!«
Lepidina hatte den Blick gesenkt. Sie erinnerte Brigonius so stark wie noch nie an das stille Mädchen aus der Zeit ihres Besuchs im Norden. »Ich glaube nicht, dass es deiner Sache dienlich ist, wenn du den Kaiser beleidigst, Mutter.«
»Welcher Sache?«, rief Severa. »Ich frage dich noch einmal, Sabinus – stehe ich hier vor Gericht?«
»Genug«, sagte Primigenius scharf. »Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass du die Anklage, die ich gegen dich vorgebracht habe, nicht bestreitest.« Ohne ihr eine Gelegenheit zur Antwort zu geben, wandte er sich an Sabinus. »Senator, ich schlage vor, wir kürzen die Sache ab und gehen zur Frage ihrer Reue über.«
»Und was ist das für eine Reue ?«, fauchte Severa. »Noch mehr Euphemismen?«
»Entweder das oder ein vollständiges Gerichtsverfahren, Claudia Severa«, sagte Sabinus mit schwerer Stimme. »Das oder die Strafe des Staates. Das oder der Zorn des Kaisers.«
Sie funkelte ihn an, verstummte jedoch.
Sabinus nickte Primigenius zu. Der Freigelassene brachte eine Wachstafel zum Vorschein. »Ich habe deine Finanzen prüfen lassen, Claudia Severa. Dank deiner Prophezeiung hast du es zu einem Vermögen gebracht. Ich bin nicht rachsüchtig; das ist keiner von uns. Meiner Ansicht nach wäre es ein ausreichender Akt der Wiedergutmachung, wenn du deinen gesamten Gewinn dem Kaiser übereignen würdest.«
»Meinen gesamten Gewinn?«
Primigenius las eine rasche Zusammenfassung seiner Schätzung vor und nannte dann eine Gesamtsumme: »Mehr als eine Million Sesterzen.«
Eine verblüffte Stille trat ein. Es war eine Summe, die, wie Brigonius wusste, dem erforderlichen Eigentum eines Senators in Rom entsprach.
»Dieser Betrag ist viel zu hoch angesetzt«, protestierte Severa.
»Nun ja, es war klar, dass du das sagen würdest.« Primigenius tippte mit einem manikürten Zeigefinger auf seine Wachstafel. »Aber es steht alles hier.«
»Lassen wir das dahingestellt sein«, sagte Sabinus. »Wenn du diese Summe in die Staatskasse einzahlen kannst, Schwiegermutter, ist die Angelegenheit erledigt.«
»Das kann ich nicht«, sagte sie. »Selbst wenn ich wirklich so viel verdient hätte, könnte ich es nicht, denn ein großer Teil davon ist bereits ausgegeben.«
»Für Luxusartikel?«, spottete Primigenius.
»Für meine Kinder«, sagte Severa.
Bei diesem Wort blickte Lepidina schockiert auf. Brigonius hatte geglaubt, sie wäre ein Einzelkind; offenbar hatte Lepidina das ebenfalls angenommen. Was hatte es mit diesen Kindern auf sich? …
Primigenius machte sich bereit, ihr den Todesstoß zu versetzen. Er sprach in ruhigem Ton, aber seine Worte waren erbarmungslos. »Dann bist du von diesem Augenblick an eine Schuldnerin, Claudia Severa. Und du kannst deine Schulden nicht begleichen, nicht wahr? Du kennst das Gesetz. Du wirst alles verkaufen müssen, was du besitzt. Aber auch das wird nicht reichen, habe ich recht? Also wirst du dich selbst verkaufen müssen . Du wirst deine Tage als Sklavin beschließen. So will es das Gesetz.«
Lepidina erschauerte, und Brigonius wusste, dass sie das Schicksal ihrer Mutter geteilt hätte, wenn sie nicht verheiratet gewesen wäre.
Aber Severa gab sich noch nicht geschlagen. »Das
hat nichts mit dem Kaiser zu tun, nicht wahr? Du tust das alles, weil ich dich beim Bau des Walls vor all diesen Jahren ausmanövriert habe, Primigenius. Hast du so lange auf deine Rache gewartet? Führst du eine Liste von Opfern, die du im Lauf der Jahre eines nach dem anderen abhakst?«
»›Kinder‹«, sagte Lepidina langsam. »Du hast ›Kinder‹ gesagt.« Sie schaute mit ernstem Blick zu ihrer Mutter auf.
Severa holte Luft. »Na schön. Ich habe einen Sohn. Aus einer früheren Ehe, Lepidina. Sein Vater war ein Narr, ein Trinker, und er ist bei einer Schlägerei ums
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