Imperator
war in jeden Winkel des Lebens gesickert – und selbst hier, am äußersten Rand des Imperiums, sollte sich diese Härte nun gegen Claudia Severa richten.
Schließlich betrat Severa den Raum, und die flüchtigen Gespräche erstarben.
Sabinus stand auf und verneigte sich. »Claudia Severa. Willkommen.«
Severa war schlicht gekleidet; sie trug ein einfaches türkises Gewand und ein Kopftuch. Sie war mittlerweile Ende fünfzig und gut gealtert, fand Brigonius, auch wenn ihre aus dem Gesicht gekämmten Haare einen silbergrauen Helm bildeten. Aber ihre Augen waren noch genauso tot und kalt, wie er sie in Erinnerung hatte.
Er war überrascht, als Severa wortlos den Raum durchquerte und sich neben ihn setzte.
Brigonius schaute in sein Herz und stellte fest, dass sein Zorn jetzt, wo er diese Frau zum ersten Mal seit sechzehn Jahren sah, heftiger denn je loderte. »Weshalb hast du mich rufen lassen, Claudia Severa?«
Sie hob die gefärbten Augenbrauen. »Weshalb bist du gekommen?«
»Hältst du mich für deinen Freund?«
»Nein. Ich habe wenige Freunde. Aber ich brauche jemanden, der mich heute unterstützt. Du hast keinen Grund, mich zu lieben, Brigonius, das weiß ich. Aber ich habe in diesen letzten zwanzig Jahren Geschäfte mit dir gemacht, und ich weiß, dass du ein ehrlicher
Mensch bist.« Selbst jetzt war sie überheblich und ein wenig spöttisch.
»Ich möchte nicht einmal dich allein vor Gericht stehen sehen, Claudia Severa. Aber lies nicht mehr hinein.«
»Das würde mir nicht einmal im Traum einfallen.«
Sabinus räusperte sich. »Vielleicht sollten wir anfangen …«
»Anfangen womit?«, fauchte Severa und ging sofort zum Angriff über. »Ist dies ein Gericht, Iulius Sabinus?«
Primigenius erhob sich, ausgemergelt wie ein Kadaver. »Ich glaube, wir hoffen alle, die Notwendigkeit eines Gerichtsverfahrens vermeiden zu können, Claudia Severa. Dennoch gibt es unerfreuliche Dinge, mit denen wir uns befassen müssen.«
Severa schnaubte. »Ich frage mich, ob aus deinem Mund auch nur ein einziges wahrhaftiges Wort kommen kann, du Schlange.«
»Bringen wir’s hinter uns«, blaffte Sabinus.
Von einem Tisch vor ihm hob Primigenius eine ramponierte Ledermappe auf. »Erkennst du das?« Er öffnete sie und entnahm ihr ein Dokument. Es war ein vom Alter abgenutztes Pergament, das nur ein paar Zeilen in einer unbeholfenen Handschrift enthielt, wie Brigonius sah.
Lepidina schnappte nach Luft, aber er hätte auch so erkannt, was das war.
Severa fragte drohend: »Woher hast du das?« Sie drehte sich um und ließ ihren zornigen Blick über
die Anwesenden schweifen. »Wer von euch ist der frumentarius , der die Habseligkeiten einer alten Frau durchwühlt hat?« Ein unbehagliches Schweigen trat ein. Die frumentarii waren eine von Hadrians unbeliebteren und unrömischeren Neuerungen, eine geheime Polizeitruppe, die er gegen Rivalen und Gegner einsetzte.
Als niemand antwortete, sagte Sabinus streng: »Claudia Severa, es ist jetzt nicht wichtig, wie dieses Dokument in unsere Hände gelangt ist, sondern was es enthält.«
»Es ist eine Prophezeiung«, sagte Primigenius. Er stolzierte mit dem Schriftstück im Raum umher, als zeige er es einem Gericht. »Sie befindet sich seit Generationen im Familienbesitz dieser Frau. Sie gehörte Claudia Severa, lange bevor der Kaiser nach Britannien kam. Und hört euch das hier an.« Er las die entscheidenden Zeilen vor, über den kleinen Griechen, die Schlinge aus Stein. »Diese Frau glaubte, im Besitz einer Prophezeiung zu sein, welche die Entscheidung des Kaisers voraussagte, den Wall zu bauen. Und sie beschloss, mit ihrer Hilfe reich zu werden.« Er zeigte mit einem anklagenden Finger auf Severa. »Sag uns, dass dieses Dokument eine Fälschung ist, eine ungeschickte Fälschung.«
Brigonius erkannte, dass dies in der Tat ein Ausweg für Severa war; wenn sie leugnete, dass die Prophezeiung echt war, dann würde sie als närrische alte Frau hingestellt werden, die nur Glück gehabt hatte, und vielleicht – vielleicht – ohne harte Strafe davonkommen.
Aber das würde sie nicht tun; Primigenius kannte sie und ihren Stolz offenbar sehr gut.
»Komm zur Sache, du lächerliche Schlange«, sagte Severa kühl. »Was wirfst du mir vor?«
»Nun, dem Kaiser vorenthalten zu haben, was ihm von Rechts wegen gehört«, sagte Primigenius, als liege das auf der Hand. »Wenn du geglaubt hast, dieses Dokument besäße wahrhaft prophetische Macht, hättest du es sofort hergeben sollen.
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