Imperator
sterben sowieso«, sagte Volisios nüchtern.
»Man muss die Kosten für die Herstellung der Schächte gegen die Arbeitskosten abwägen.«
»Sklaven sind auch nicht mehr so billig wie früher«, warf Tarcho ein.
»Das stimmt. Aber Sträflinge gibt es immer in rauen Mengen«, sagte Volisios. »Immer mehr Steuerhinterzieher, die von den Steuerinspektoren aufgespürt und hierher verfrachtet werden.«
Thalius wandte sich ab. »Mir ist klar, weshalb Kinder in diesen Rattenlöchern so nützlich für euch sind – selbst wenn es ihnen mit ihren kleinen Fingern schwerfällt, den Quarz auseinanderzuklauben, hm?«
Volisios sah ihn mit einer Mischung aus Gerissenheit und Vorsicht an. »Du verurteilst mich, nicht wahr? Ich versuche nur, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wir betreiben hier ein Unternehmen und kein Waisenhaus.«
»Vielleicht solltest du mir jetzt den Jungen bringen.«
Volisios schaute sich um, und Thalius sah, dass der Mann, den der Aufseher zuvor herbeigerufen hatte, ein Stück entfernt wartend im Schatten stand. Er hielt eine kleinere Gestalt, die neben ihm stand, an ihrem dünnen Arm gepackt. Volisios schnippte mit den Fingern, und der Mann kam herbei und zerrte den Jungen hinter sich her. Der Junge wehrte sich nicht, aber seine Gliedmaßen schlackerten, und er hatte den Kopf abgewandt; er machte einen verdrossenen, passiven Eindruck. »Das ist der, den du suchst«, sagte Volisios. »Jedenfalls soweit wir wissen.«
Thalius spürte, wie sein Herz klopfte.
Der Junge wurde in eine Lichtpfütze vor ihm geschoben. Er war in Lumpen gehüllt und vielleicht zwölf Jahre alt, aber so unterernährt und mager, dass sein Alter schwer auszumachen war. Seine Gelenke waren so knubbelig wie Walnussbeutel, und die Rippen unter seiner zerfetzten Kleidung standen derart hervor, dass man sie zählen konnte. Er war schmutzig, mit schwarzen Streifen in seinem ovalen Gesicht. Aber es besaß trotzdem eine gewisse Schönheit, und die rotblonde Farbe seiner Haare leuchtete durch verfilzten Dreck.
Tarcho fragte Volisios: »Wie heißt er?«
»Audax«, sagte der Aufseher schroff. Ein gängiger Sklavenname. »Er wird nichts über seine Familie wissen«, warnte Volisios. »Wahrscheinlich hat man ihn seiner Mutter weggenommen, sobald er abgestillt war.«
»Wenn ich sein Gesicht nur besser sehen könnte«, sagte Thalius. Er beugte sich zu dem Jungen hinunter und umfasste sein Kinn, um den Kopf anzuheben. Aber Audax zuckte zurück, und Thalius erkannte, dass einige der verfärbten Stellen um seinen Mund kein Schmutz, sondern blaue Flecken waren. Thalius trat zurück. Er war unschlüssig, was er nun tun sollte.
Wenn er recht hatte, was die Herkunft dieses Jungen betraf, dann entstammte er einem Zweig seiner Familie, der vor fast zweihundert Jahren in die Sklaverei gestürzt worden war.
Als er begonnen hatte, sich für die alte Sage einer verloren gegangenen Prophezeiung zu interessieren,
hatte er die Familiengeschichte bis zurück zu einer Spaltung unter der Herrschaft Hadrians verfolgt, als ein Bruder seiner Urahnin Lepidina zusammen mit deren Mutter, einer Frau namens Severa, in die Sklaverei verkauft worden war. Thalius wusste, er hatte Glück gehabt, dass Lepidina dieses Schicksal erspart geblieben war, sonst wäre er ebenfalls als Sklave zur Welt gekommen – sofern er überhaupt zur Welt gekommen wäre. Von jener Begebenheit aus hatte Thalius sich wieder zur Gegenwart vorgearbeitet und dabei dem Schicksal von Sklaven und deren Kindeskindern nachgespürt. Die Römer führten immer gute Unterlagen, und selbst die Auflistung des Sklavenhandels war überraschend vollständig – aber seit die Ausdehnung des Reiches unter Hadrian zum Stillstand gekommen und die Zufuhr neuer Gefangener aus eroberten Gebieten versiegt war, stellten Sklaven ja auch eine Ware dar, für die sich die Buchführung lohnte. Schließlich hatte er den Faden der Abstammung bis hierher verfolgt, zu diesem Jungen, Audax – der, wenn er recht hatte, der letzte Nachkomme dieses Bruders von Lepidina war.
Falls die Ergebnisse seiner Nachforschungen zutrafen, dann hatte der einzige vielleicht noch verbliebene Rest der alten Prophezeiung in Gestalt dieses unglücklichen Sklavenjungen überlebt. Aber irgendwie hatte sich Thalius nie so recht überlegt, was er tun würde, wenn er dem Jungen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstünde.
»Lass es mich versuchen«, sagte Tarcho. Er machte
mit seinem massigen Körper ein paar schwerfällige Schritte nach vorn
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