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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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und kniete sich vor den Jungen. Er sprach mit sanfter Stimme, in mehreren Sprachen; vielleicht war eine von ihnen ein britannischer Dialekt, die Muttersprache von Audax’ und Thalius’ Vorfahren. Der Junge blickte nicht auf, aber zumindest zuckte er nicht zurück, wie bei Thalius.
    Mit einem beruhigenden Nicken nahm der alte Soldat erst die linke und dann die rechte Hand des Jungen und untersuchte die Handflächen und die Fingernägel. Er fuhr mit den Händen über die Arme und Beine des Jungen und fuhr ihm durch das verfilzte Haar – Thalius sah dort Läuse krabbeln –, schaute ihm in den Mund und ließ die Hand über Bauch und Rücken gleiten. Es war eine rasche Inspektion, als hätte er einen Hund vor sich. Der Junge erlebte so etwas offensichtlich nicht zum ersten Mal und ließ es widerstandslos über sich ergehen.
    Dann drehte Tarcho den Jungen um und hob den Fetzen hoch, der ihm als Tunika diente. »Thalius. Komm her und schau dir das an.«
    Thalius trat vor. Der nackte Rücken des Jungen war eine Ansammlung purpurroter Narben. Thalius wich angewidert zurück und wandte sich an Volisios. »Er ist geschlagen worden, und zwar heftig, wie es aussieht.«
    Volisios erwiderte seinen wütenden Blick. »Wenn ja, dann habe ich nichts damit zu tun.«
    »Nein«, sagte Tarcho mit fester Stimme. »Schau noch einmal hin, Thalius. Das sind keine Peitschenstriemen.
Siehst du diesen Kreis, diese Krümmung hier?«
    Die auf primitive Weise in die Haut des Jungen eingeritzten Male waren Buchstaben: lateinische Buchstaben, grob in einem quadratischen Muster angeordnet.

    Während sie den Jungen anstarrten, drehte dieser den Kopf, und zum ersten Mal, seit er hierhergebracht worden war, zeigte sich ein Funken Neugier in seinen Augen. Thalius fragte sich, ob er überhaupt wusste, dass er vielleicht sein ganzes Leben lang eine Botschaft auf seinem Rücken mit sich herumgetragen hatte.

III
    Thalius war außerordentlich erleichtert, als sie wieder an die Oberfläche gelangten, obwohl er von dem Aufstieg völlig außer Atem war.
    Volisios geleitete Thalius und Tarcho zu seiner Schreibstube vor Ort, einem Klotz aus Lehmziegeln, der ein wenig besser ausgestattet war als die anderen Verschläge. Tarcho nahm den Jungen mit, um ihn zu säubern und etwas eingehender zu untersuchen. Thalius war froh, ihn in Tarchos Obhut geben zu können. Tarcho war zwar kein Arzt, aber er hatte Soldaten an der Front befehligt und besaß ein paar Grundkenntnisse in Anatomie und Medizin.
    Während Thalius wartete, wollte er sich nur ausruhen. Er war so erschöpft, dass er nicht einmal sprechen konnte. Volisios respektierte das; er servierte ihm etwas verdünnten Wein, ein ziemlich saures Produkt britannischer Rebstöcke, und wandte sich einigen Verwaltungsarbeiten zu.
    Thalius dachte darüber nach, was für ein Glück er hatte, dass er Tarchos Unterstützung genoss. Tarcho war in den Fünfzigern, ungefähr im selben Alter wie Thalius selbst, aber ein größerer Gegensatz als der zwischen den beiden Männern war kaum vorstellbar. Thalius
war ein begüterter Geschäftsmann. Er führte ein Töpfereiunternehmen und verkaufte dem Heer Becher und Teller. Sein Unternehmen befand sich seit Generationen im Familienbesitz. Er war jedoch nicht so reich, wie er es hätte sein können, denn er hatte auch den Sitz seines Vaters im Stadtrat von Camulodunum geerbt, der Kurie. Seine Aufgaben – das Einnehmen der Steuern, die Instandhaltung der Stadtmauern und andere Bürgerpflichten – waren beschwerlich und kostspielig; natürlich hatte man sie aus eben diesem Grund zu obligatorischen und erblichen Obliegenheiten erklärt.
    Im Gegensatz dazu war Tarcho, der von einer langen Reihe von Soldaten germanischer Herkunft abstammte, ein Bär von einem Mann, ruhig, massiv und unerschütterlich, mit einem wilden zinnoberroten Bart, der jetzt von grauen Strähnen durchsetzt war. Er hatte den größten Teil von fünfundzwanzig Jahren in einer Garnison an der britannischen Ostküste gedient, davon allerdings einige Jahre unter der Regentschaft von Carausias, dem berüchtigten Usurpator. Constantius Chlorus’ Dekret, dass die Dienstzeit von Soldaten wie Tarcho unter Carausias auf ihre Ruhestandsprivilegien angerechnet würde, sofern sie die Seite wechselten, war eine pragmatische Geste des Anführers der großen römischen Invasion in Britannien vor fast zwanzig Jahren gewesen.
    Aber was sollte jemand wie Tarcho mit seinem Ruhestand anfangen? Er war nicht verheiratet. Er war zu

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