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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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ruhelos, um Landwirtschaft zu betreiben, und hatte zu
viele Skrupel, um sich als Schläger eines Steuereintreibers zu verdingen. Deshalb war er auf der Suche nach einer geeigneten Arbeit nach Camulodunum gekommen und durch Freunde von Freunden an Thalius geraten, der einen verlässlichen Leibwächter gesucht hatte. Thalius war jedenfalls froh über seine Begleitung gewesen, als er sich aus der Sicherheit von Camulodunums Mauern gewagt und diese Reise durch eine der vier britannischen Provinzen und in eine andere im fernen Westen angetreten hatte.
    Auch wenn sie ein gegensätzliches Paar sein mochten, war Tarcho zu Thalius’ rechter Hand geworden, ebenso sehr ein Resonanzboden wie ein schützendes Muskelpaket. Beide kinderlose Junggesellen, fühlten sie sich gegenseitig in ihrer Gesellschaft wohl. Und sie wurden von einer gemeinsamen Religion vereint und getrennt: dem Christentum. Auf ihren Reisen hatten sie lange und interessante Diskussionen über das Wesen ihrer Religion geführt. Aber wie Volisios angemerkt hatte, war heutzutage schließlich jeder ein Theologe.
    Thalius’ Zweifel in Bezug auf den neuen Kaiser und die Richtung, in die er das Christentum führte, hatten in Tarchos Ausdrucksformen seines aggressiven Glaubens konkrete Gestalt angenommen. Tatsächlich hatten eben diese Zweifel Thalius in die Mine geführt – und was er hier zu erreichen hoffte, stellte nur einen Schritt auf dem Weg zu seinem Endziel dar, einer Auseinandersetzung über die Richtung des Christentums mit dem Kaiser persönlich.

    Das Christentum war eine alte Leidenschaft in Thalius’ Familie. Angeblich reichte sie mehrere Jahrhunderte zurück, bis zu Severas Tochter Lepidina, die nicht lange nach Jesu Tod gelebt hatte. Thalius’ Religion war von einer altmodischen Art, eine Religion der Liebe und der Hoffnung, und seine Gemeinschaft war ein Verbund wohltätiger Vereinigungen, die sich gegenseitig halfen – eine direkt von den Lehren Jesu Christi abgeleitete Religion, wie Thalius gern glaubte. Tarcho jedoch war ein Christ neuen Typs. Seine Religion war wie die seines Kaisers eine robuste Soldatenreligion, sein Gott ein Krieger, der andere Gottheiten im Kampf besiegt und damit seine Kraft unter Beweis gestellt hatte. Von ernsthafter Besorgnis erfüllt, hatte Thalius sich gezwungen gesehen, diese Metamorphose des Christentums zu einer militärischen Religion, die er nicht mehr wiedererkannte, abzulehnen. Aber die neue Richtung kam vom Kaiser persönlich. Was sollte man also tun, wenn man ein Gewissen besaß?
    Als Thalius erfuhr, dass der Kaiser nach Britannien reisen würde, um Soldaten für eine Streitmacht zu sammeln, war ihm eine Idee gekommen, ein Samenkorn, das in seinem Geist Wurzeln schlug. Der Kaiser würde Audienzen abhalten – warum sollte dann nicht auch Thalius empfangen werden und seine Zweifel zur Sprache bringen? Jeder vernünftige Herrscher würde doch gewiss die Vorstellungen und Standpunkte derjenigen zur Kenntnis nehmen, die er zu regieren bestrebt war. Warum nicht auch die von Thalius?
    Aber kaum war er auf diesen faszinierenden Gedanken
gekommen, wurde er auch schon von Zweifeln geplagt. Nahm er sich nicht zu ernst? Wer war er, ein Angehöriger einer simplen provinziellen Kurie, sich zur kaiserlichen Politik zu äußern?
    In dieser Situation kam Thalius, der nach etwas suchte, was ihn weiterbrachte, auf die Idee, sich einer alten Familiensage zuzuwenden: der Prophezeiung, dem verloren gegangenen Poem der Zukunft. Vielleicht hoffte er vergeblich, es wiederzufinden, aber selbst in diesen Zeiten halsabschneiderischer Steuern war Thalius so wohlhabend, dass er es sich leisten konnte, sich seiner Faszination für die Familiengeschichte hinzugeben. Und wenn die Prophezeiung tatsächlich einen Blick in die wahre Zukunft bot, war es einen Versuch wert, sie zu finden – erst recht in einer Zeit solcher Unsicherheit. Mit ihrer Autorität im Rücken  – immer vorausgesetzt, die Prophezeiung existierte, ließ sich aufspüren und war vorzeigbar – hätte er womöglich die Rechtfertigung, einem Kaiser und seinem Hof gegenüberzutreten, und auch den erforderlichen Mut.
    Es war vielleicht falsch und nicht einmal sehr logisch, aber es war immerhin ein Plan, eine Strategie, und er hatte sie bis hierher verfolgt. Und schließlich besagte die seit den Zeiten der schon längst verstorbenen Lepidina weitergegebene Familiengeschichte, dass die Prophezeiung tatsächlich etwas mit dem Schicksal des Christentums zu tun hatte.

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