Imperator
Sechsten Legion; die meisten stammten aus Gallien und Germanien, manche jedoch auch aus noch ferneren Ländern. Tag für Tag hackten sie in den britannischen Kalkstein, schnitten grobe Steinblöcke zurecht und schleiften sie zu den Karren, damit sie zu den Bauplätzen befördert werden konnten.
Das Arbeitstempo war auch hier erstaunlich. Obwohl die diesjährige Bauzeit noch nicht ganz vorbei war, hatte sich der Steinbruch, der dicken Schicht cremefarbenen Felsgesteins folgend, bereits enorm weit über den kleinen Biss in den grasbedeckten Hang
hinaus ausgedehnt, den Brigonius geerbt hatte. Die Legionäre besaßen ein Sortiment von Spezialwerkzeugen, die Brigonius heiß begehrte, zum Beispiel schwere Hämmer, Keile und Brechstangen mit Stahlspitzen und Kräne zum Heben schwerer Blöcke. An einer Stelle des Steinbruchs trieb eine Wassermühle einen Aufwerfhammer an, dessen viele Arme wild auf unnachgiebiges Gestein einschlugen. Er hatte gerüchteweise gehört, dass in einem anderen Steinbruch in der Nähe des Walls der Stein mit einer wasserbetriebenen Säge abgebaut wurde.
Aber letztendlich wurde die Aufgabe mit harter körperlicher Arbeit erledigt. Selbst von hier aus konnte Brigonius den glänzenden Schweiß auf den Rücken der schuftenden Legionäre sehen. Der Wall würde siebzig Meilen lang sein, und jemand musste jeden einzelnen Steinblock heraushauen, ihn zur Linie des Walls schleifen und einmörteln.
»Brigonius.«
Er drehte sich um. Es war Matto, sein Vetter, ein stämmiger Mann, zehn Jahre älter als Brigonius. Matto hatte einen schwarzen Bart und dunkle Haare, und er trug einen schweren, tiefblau bis schwarz gefärbten Wollmantel, sodass er wie ein dunkler Klecks mitten an einem hellen Sommertag war. Man konnte sich kaum eine Gestalt vorstellen, die antirömischer gewirkt hätte.
»Vetter. Du hast dich an mich herangeschlichen.«
Matto grinste, und Brigonius sah gelbbraunen Steinbruchstaub, der sich tief in seine Poren gesetzt
hatte. »Genau so, wie du dich an uns anschleichen wolltest – hm?«
Er hatte recht. Es war ein Trick, den Brigonius von Tullio, dem Präfekten, gelernt hatte, der so etwas wie ein rüder Freund geworden war. »Alle Soldaten sind faule Hunde«, pflegte Tullio in seinem schwerfälligen, germanisch gefärbten Latein zu knurren. »Das liegt ihnen im Blut. Man kann sich nur aus einer unerwarteten Richtung und in einem unerwarteten Augenblick an sie anschleichen. Am liebsten sind mir die frühen Morgenstunden. Du solltest die Huren und Lustknaben wegrennen sehen – wie rosafarbene Ratten!«
Brigonius fragte Matto: »Bin ich derart berechenbar?«
»Du solltest dir ein paar neue Beobachtungspunkte suchen. Hier ist die letzte Abrechnung.« Matto reichte Brigonius ein ausklappbares Notizbuch aus zusammengeklebten Holztäfelchen.
Brigonius überflog die Zahlen; auf den ersten Blick schienen sie in Ordnung zu sein. »Irgendwelche Probleme?«
»Keine außer den Römern«, knurrte Matto. »Die Zahlen in ihren hübschen Kolonnen stimmen. Aber sie stehlen unseren Stein, Vetter.«
»Das ist nicht wahr«, erwiderte Brigonius geduldig. Sie hatten diese Diskussion schon viele Male geführt.
»Die Preise, die sie bezahlen, sind ruinös«, beharrte Matto.
Das stimmte, selbst im Vergleich zu den Preisen, die Brigonius vor Hadrian und seinem Plan bei den Soldaten
in Vindolanda erzielt hatte. Aber zumindest bezahlten sie, obwohl sie sich den Stein auch einfach hätten nehmen können. Brigonius glaubte zu wissen, warum. Erstens behielten die Römer ein reines Gewissen, indem sie nicht stahlen, sondern bezahlten, und sei es auch nur ein Almosen; sie mochten Heuchler sein, aber sie zogen es vor, sich bei ihren Geschäften an die Gesetze zu halten – an ihre Gesetze, hieß das.
Und es gab noch einen subtileren Grund. Als Matto begonnen hatte, für Brigonius zu arbeiten, hatte er die lateinische Sprache und gut genug schreiben und rechnen lernen müssen, um angemessene Aufzeichnungen zu führen. Matto hatte es vielleicht nicht bemerkt – und Brigonius hatte nicht vor, ihn darauf hinzuweisen –, aber durch den unabdingbaren Umgang mit dem Heer eignete er sich Stück für Stück elementare Kulturtechniken an und wurde in das Wirtschaftssystem der Römer einbezogen.
Das römische Heer war nicht nur ein Eroberungswerkzeug. Die größte Organisation der Welt, deren stolze dreihunderttausend Angehörige sich vom Tinea bis zum Euphrat verteilten, gebrauchte überall, wo sie tätig war, die
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