Imperator
Legionäre, schleppten Steine und legten sie aus, Maden in der Wunde.
In den restlichen Sommertagen des letzten Jahres hatte Statthalter Nepos seinen Arbeitskräften zum Ziel gesetzt, einen drei Meilen langen Abschnitt des Walls fertigzustellen, was ihnen mühelos gelungen war. Dieses Jahr, in der ersten vollständigen Bauzeit, sollten die drei Legionen, die am Wall arbeiteten, j eweils fünf weitere Meilen vollenden.
Als Erstes errichteten sie die Meilen-Kastelle und
die Türme. Die Kastelle hatten einen schlichten rechteckigen Grundriss, fünfzig Fuß breit und sechzig lang, mit Toren in der Nordmauer und im Süden. Im Inneren gab es kleine Gebäude und einen Ofen, und eine Treppe führte zu einer Aussichtsplattform. Die Türme waren noch schlichter, einfache, strohgedeckte Bauten mit einer quadratischen Grundfläche von zwanzig mal zwanzig Fuß, jeweils mit einer Feuerstelle und einem Unterstand für die Soldaten. Da die Türme und Kastelle zur Struktur des Walls gehörten, besaßen sie »Flügel«, stummelartige Erweiterungen im Osten und Westen, wo sich die Mauer anschließen würde.
Der Bau ging so rasch voran, dass die Mauer mancherorts bereits errichtet wurde. Auf ein Fundament aus in Lehmstrich eingelassenen Steinplatten setzte man zwei Reihen behauener Steine, ordentliche, quadratische Blöcke. Dann wurde der Zwischenraum mit einem Gemisch aus Bruchsteinen und Lehm oder Mörtel gefüllt. Unter der Mauer legte man Entwässerungsrinnen an, und größere Flüsse wurden in Tunnels darunter hindurchgeführt. Die fertigen Abschnitte aus Stein wurden bereits verputzt und mit Kalkfarbe weiß getüncht, und rote Streifen liefen an der Linie des Walls entlang und markierten den Verlauf der beiden Mauersteinreihen.
Brigonius, selbst ein Steinbrecher, staunte über das Arbeitstempo. Nicht nur der ungeheuer effiziente Transport der Steine beeindruckte ihn, sondern auch der Umgang der Römer mit opus caementitium . Ohne einen Kern aus diesem Gussgestein hätte die Mauer
niemals so rasch erbaut oder so robust werden können. Opus caementitium härtete sogar unter Wasser aus, was die Konstruktion von Brücken mit festen Fundamenten erlaubte. Wenn die Blendsteine irgendwann einmal gestohlen wurden oder zerfielen, würde der Kern aus Gussgestein trotzdem stehen bleiben; die Römer bauten für Jahrhunderte.
Der Wall war nicht in derselben Weise als Verteidigungsbarriere gedacht wie die Mauer einer Festung, die einer Belagerung trotzen sollte. Sein Zweck war Kontrolle. Mit Hilfe der in regelmäßigen Abständen eingebauten befestigten Tore würde die Armee die Bevölkerungsströme im ganzen Gebiet kontrollieren und sogar Zölle erheben können. Der Wall war eindrucksvoll genug, um kleinere Raubzüge zu verhindern, aber bei größeren Unruhen würden sich die Legionäre in ihren Stützpunkten im Süden sammeln und durch die Tore hinausreiten, um dem Feind zur offenen Feldschlacht in freiem Gelände gegenüberzutreten. Brigonius begriff allmählich, dass der Wall nur eine Komponente in einem System gestaffelter Kontroll-, Verteidigungs-und Kommunikationsmechanismen war, das sich von hier aus mittels Straßen und Kastellen nach Süden bis in die römische Provinz und sogar nach Norden erstreckte, wo man bemannte und befestigte Vorposten jenseits des eigentlichen Walls unterhalten würde.
Doch als Brigonius den Wall imposant über die Klippen aufragen sah, fragte er sich, welche Bedeutung diese militärischen Theorien im Vergleich zur brutalen physischen Realität des Walls besaßen. Er war ein Monument
für die Macht der römischen Denkungsart, wie es Britannien – oder Tullio zufolge die ganze Welt – noch nie gesehen hatte, und selbst ohne einen einzigen Soldaten würde ein solches Bauwerk sicherlich alle bis auf die fanatischsten Feinde Roms abschrecken.
Aber schließlich, rief Brigonius sich ins Gedächtnis, war er – obwohl ihm ein gewisses Leid zugefügt worden war – kein fanatischer Feind Roms.
Brigonius gelangte zu dem Kalksteinbruch, der ihm selbst gehörte, einer riesigen Scharte im Südhang eines Hügels, nicht weit von der Linie des Walls entfernt, einige Meilen östlich von Banna. Er kam von Norden, sodass er am Rand der in die Flanke des Hügels geschnittenen künstlichen Steilwand Halt machen und die Aktivitäten in der Grube beobachten konnte. Lange Reihen Steine schleppender Männer schlängelten sich von der Stirnwand des Steinbruchs zu Sammelpunkten bei den Karren. Das waren die Männer der
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