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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Für gewöhnlich stochert man in Laub und Innereien herum und bekommt ein paar unheilvolle
Omen, die alles Mögliche bedeuten können. Hier ist es anders – nicht so, als gäben uns die Götter ihre üblichen Rätsel auf, sondern eher, als spräche ein Mensch zu uns. Als wüsste jemand in der Zukunft, was passieren wird, hätte es aufgeschrieben und in die Vergangenheit geschickt.«
    »Der ›Weber‹, wie meine Mutter ihn nennt. Der Autor der Prophezeiung«, meinte Lepidina.
    »Aha«, sagte Xander fasziniert. »Aber ist das denn in irgendeiner unserer Weltanschauungen überhaupt möglich? Erlauben wir irgendwem – und seien es die Götter –, die Zukunft zu kennen oder die Vergangenheit zu ändern?«
    »Wenn die Legionäre sie auf Mona nicht alle an ihre heiligen Bäume genagelt hätten«, warf Karus trocken ein, »wäre es interessant, einem Druiden eine solche Frage zu stellen. Ich weiß, sie haben von einer fortwährenden Seelenwanderung zwischen unserer Welt und der Anderswelt gesprochen, aber jede unserer Seelen ist in die Zeit eingebettet. Daher glaube ich, dass Fragen nach der Existenz der Zukunft oder nach der Möglichkeit, an der Vergangenheit herumzuspielen, für sie bedeutungslos gewesen wären.«
    »Aber in Griechenland«, sagte Xander hochmütig, »hat man weitaus kultiviertere Vorstellungen entwickelt.«
    »Geht das wieder los«, knurrte Tullio. »Noch mehr ›kultivierter‹ Pferdemist.« Er schnippte mit den Fingern, damit der Junge ihnen Wein nachschenkte.
    Xander ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Zum
Beispiel gibt es die Idee der ewigen Wiederkehr, in der die Zeit zyklisch ist und jedes Ereignis immer von Neuem stattfinden muss, ohne Begrenzung. Das hat Aristoteles Probleme bereitet; er hat sich Gedanken über die Kausalität in einem Universum gemacht, in dem er nach dem Untergang Trojas ebenso existierte wie davor. Aber man könnte die ›Vergangenheit‹ wohl wirklich beeinflussen, indem man dafür sorgt, dass eine Botschaft mit Informationen über sie so lange erhalten bleibt, bis sie irgendwann in der ›Zukunft‹ wiederkehrt …«
    »Und was ist mit der Ewigkeit?«, rief Karus. Er klang ein wenig betrunken. »Ich dachte, darüber hättet ihr Griechen jede Menge zu sagen, Xander.«
    »Und einige Römer auch«, erwiderte Xander milde. »Ewigkeit: eine Seinsweise, in der alle Ereignisse, frühere und künftige, gemeinsam existieren. Lukrez hat behauptet, zeitliche Dauer sei ein reines Geistesprodukt, denn die Ewigkeit sei die höhere Wirklichkeit, durch die wir uns bewegten, versteht ihr, und Bewegung vermittle den Eindruck von Veränderung. Aber Lukrez hat natürlich nur ältere Vorstellungen der Epikuräer weiterentwickelt. Und Platon, ebenfalls ein Vorläufer von Lukrez, hat vor langer Zeit gesagt, unsere Zeitwahrnehmung sei ein ›bewegtes Bild der Ewigkeit‹ …«
    Brigonius bemühte sich, das alles zu verstehen. »Die Ewigkeit ist also wie … wie was?«
    »Stell dir einen Wandteppich vor, Brigonius«, erklärte Karus, »in den Bilder von Bäumen in ihren verschiedenen
Entwicklungsstadien eingewoben sind: Samenkörner, Schösslinge, jung, reif, alt, umgestürzt und verrottet. Im Webmuster sind sie alle gleichzeitig da, verstehst du. Jetzt bist du eine Ameise, die an einem Faden des Wandteppichs entlangläuft. Dabei lässt du den Blick über die Bilder der jungen und alten Bäume gleiten und verbindest sie in deinem Kopf – und statt viele Bäume verschiedener Altersstufen zu sehen, bildest dir ein, nur einen Baum zu sehen, der wächst und stirbt und verrottet. Verstehst du? Ein bewegtes Bild, das aus etwas Unbewegtem abgeleitet ist, vergehende Zeit, die aus der Ewigkeit abgeleitet ist.«
    Brigonius legte die Stirn in Falten. »Ich glaube, ich kann dir folgen.«
    »Soll das alles nun heißen, dass die Zukunft zur Vergangenheit sprechen kann?«, fragte Annius.
    Karus lachte. »Vielleicht, wenn man dem richtigen Gott die richtige Frage stellt! Vielleicht ist die Zeit wirklich ein Wandteppich, und unser aller Leben sind seine Fäden. Und es gibt irgendwo wirklich einen Weber, einen Gott oder einen Menschen, der alles, Vergangenheit und Zukunft, mit einem Blick sieht – und der mit ein paar geschickten Handgriffen das Webmuster ändern, die Geschichte korrigieren und unser Leben ändern kann. Aber dabei stellt sich natürlich immer die Frage nach dem Zweck. Wenn der Weber oder die Weberin die Geschichte durcheinanderbringen will – warum und mit welchem Ziel?«
    Keiner

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