Imperator
Sache!«
Brigonius wusste, dass die Schuld oder Unschuld des Jungen keine Rolle spielte. In diesem Punkt hatte Severa recht. Die Rebellion war zerschlagen worden, ihre Anführer hatte man bestraft. Aber für die Soldaten in Banna war ein loser Faden übrig geblieben. Es war niemand gefunden worden, der Matto bei seinem Angriff auf das Herz ihres Lagers unterstützt hatte, niemand, der ihm die Tat befohlen hatte, niemand, der ihm geholfen hatte. Die Soldaten konnten den Gedanken nicht ertragen, dass ein Einzeltäter so tief in einen Stützpunkt vorgedrungen war, den sie für sicher hielten. Also musste ein Sündenbock, eine Verschwörung her. Und da gab es praktischerweise einen brigantischen Jungen, der dem Präfekten diente. Manche munkelten, er sei bei Mattos Ankunft am Tor gesehen worden, oder beim Hauptquartier, bevor es in Brand gesteckt worden war, oder …
»Alles Lügen«, stöhnte Karus. Für einen Advokaten war er ein mitfühlender Mann, fand Brigonius; er spürte die Qualen des Jungen wie am eigenen Leib. »Alles Gerüchte, Missverständnisse – der Wille, jemandem eine nicht existente Schuld in die Schuhe zu schieben!«
Brigonius legte ihm die Hand auf die Schulter. »Severa hat ausnahmsweise recht. Sein Leiden ist nötig; es
ist ein Abschluss. Seien wir dankbar, dass es keinen von uns getroffen hat.«
Karus spuckte auf den Boden, eine für ihn untypisch rüde Geste. »Manchmal bist du zu pragmatisch, Brigonius. Mag sein, dass es nötig ist, aber nicht für mich.« Er ging steifbeinig davon, und Severa folgte ihm mit unergründlicher Miene.
Blut troff stetig von Similis’ Füßen. Wenn er die Last seines Körpers mit den Armen trug, um seine zerrissenen Füße zu schonen, konnte er nicht atmen. Aber wenn er sich auf den Füßen hochstemmte, damit er Luft bekam, wurde das Reißen noch schlimmer. So zuckte und zappelte er und verlagerte sein Gewicht mit winzigen, aber qualvollen Bewegungen von einer Quelle des Schmerzes zur anderen.
Während der Junge darum kämpfte, am Leben zu bleiben, zerstreute sich die Menge allmählich. Brigonius hatte das Gefühl, dass er bleiben sollte, obwohl er nicht recht wusste, weshalb.
Wenn ihn jemand als ›pragmatisch‹ bezeichnete, dann, so hatte er gelernt, war das als Beleidigung gemeint. Er hielt sich nicht für einen Feigling, auch nicht für einen Verräter an seinem uralten Volk. Er sah sehr genau, dass die Römer Unglück für viele brachten – und Elend oder Tod für jene, die sich ihnen widersetzten. Es war nur so, dass ihm ein wie auch immer gearteter Angriff auf die Römer völlig nutzlos erschien. Mattos vergebliche Geste bewies das doch. Aber dadurch fühlte er sich auch nicht besser, als er hier stand und zusah, wie ein unschuldiges Kind an einem Kreuz starb.
Das Wimmern des Jungen wurde leiser, und er fiel in Ohnmacht. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte einer der Soldaten, die am Fuß des Kreuzes standen, Mitleid mit ihm; er zertrümmerte ihm die Beine mit dem Heft seines Schwerts, und der Körper des Jungen sackte tiefer herab. Da er sich nun nicht mehr abstützen konnte, würde er gewiss bald erstickt sein. Aber sein Leichnam würde dort hängen bleiben, bis die Krähen sein Fleisch fraßen.
Brigonius drehte sich um und kehrte ins Lager zurück.
XIX
Lepidinas Brief war ein Holztäfelchen, eng beschrieben. Sie sei aus Rom nach Britannien zurückgekehrt, schrieb sie, und werde dem Wall einen Besuch abstatten. Ihre Mutter komme ebenfalls mit – tatsächlich habe ihre Reise mit Severa zu tun.
Brigonius würde Lepidina also wiedersehen. Mit Schrecken dachte er daran, dass seit jenem schicksalhaften Tag der Entscheidung, als sie den Wall in Anwesenheit von Statthalter Nepos von einem Ende zum anderen neu geplant hatten, bereits fünfzehn Jahre vergangen waren. Und Lepidina war nun kein Mädchen mehr; Oberster der Gruppe, mit der sie im Kastell von Banna wohnen würde, war der Mann, mit dem sie seit vierzehn Jahren verheiratet war: Galba Iulius Sabinus, einst ein tatkräftiger junger Legionstribun, jetzt ein Senator.
Brigonius drückte den Brief an sein Herz und fragte sich, was er seiner Frau sagen sollte.
Am vereinbarten Tag begab er sich zum Kastell von Banna. Er wurde durchs Westtor eingelassen. Manchmal dachte er, dass allein schon dieser doppelte Torbogen imposanter war als alles, was man in Brigantien vor der Ankunft der Römer gesehen hatte.
Er ließ sein Pferd von einem Sklaven in den Stall bringen und ging zu Fuß die durchs
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