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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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kapriziösen Hadrian regiert wurde.
    Wie als Symbol für die komplexen Unerfreulichkeiten des kaiserlichen Hofes gehörte auch Primigenius zu den Repräsentanten des Kaisers. Der Freigelassene sah so wachsam und verschlagen aus wie eh und je. Aber er war klapperdürr, sein Schädel war kahl geschoren und das eingefallene Gesicht stark geschminkt; das Alter hatte einen hohen Tribut von ihm gefordert, und seine Schönheit war längst dahin. Brigonius wurde dem Mann tatsächlich vorgestellt, aber nichts ließ darauf schließen, dass Primigenius ihn wiedererkannte.
    Und dann war da natürlich auch Lepidina mit ihrem finster dreinschauenden Gemahl. Sie war jetzt vierunddreißig, und das sah man ihr auch an, aber sie war immer noch herzzerreißend schön. Durch seine spärliche Korrespondenz mit Severa hatte Brigonius von Lepidinas Vermählung mit dem Römer erfahren. Aber er war trotzdem irgendwie schockiert, als er Lepidina zum ersten Mal an Sabinus’ Arm sah. Brigonius hatte läuten hören, dass Sabinus’ Karriere nicht ganz so erfolgreich verlaufen war, wie er es einst geplant hatte. Vielleicht war das der Grund für die Dunkelheit um seine Augen, die Linien um die heruntergezogen Winkel eines ziemlich grausamen Mundes und die Aura geduldiger Wehmut, die Brigonius bei Lepidina spürte.
    Im Verlauf der offiziellen Veranstaltung begegnete Brigonius ihr nur kurz. Sie konnten nichts anderes tun,
als Höflichkeiten auszutauschen; Brigonius ertappte sich sogar dabei, wie er sich nach der Gesundheit ihrer Mutter erkundigte. Doch als der Abend endete, bat er sie um ein Wiedersehen – nur um der alten Zeiten willen, sagte er. Sie vereinbarten, am folgenden Tag einen gemeinsamen Ausritt entlang des Walls zu unternehmen. Lepidina wirkte weder unwillig noch besonders begeistert, sondern einfach nur höflich. Und dann war sie fort, davongewirbelt in der komplizierten Choreografie der gehobenen römischen Gesellschaft.
    In dieser Nacht fand er so gut wie keinen Schlaf. Es war fünfzehn Jahre her, und als er im Dunkeln neben seiner Frau lag, kam es ihm so vor, als hinge jeder Tag dieser Jahre schwer an seinem Herzen.
    Nach dem Tag der Entscheidung hatte sich Claudia Severa in den Süden Britanniens zurückgezogen. Manch mal hatte Brigonius auch jetzt noch geschäftlich mit ihr zu tun. Sie hatte in viele der Unternehmen investiert, die allerorts entstanden waren, um die Bedürfnisse des Wall-Projekts zu befriedigen, darunter auch in das von Brigonius. Es gab Gerüchte, dass Severa sogar an einigen der florierenden Bordelle beteiligt war, die in der Umgebung der Wall-Kastelle wie Pilze aus dem Boden schossen. Wenn sie etwas besaß, dann war es Unternehmungsgeist. Am Tag der Entscheidung, als sie in den Augen des kaiserlichen Hofes letztendlich in Ungnade gefallen war, hatte sie allerdings jeglichen echten Einfluss auf das Wall-Projekt verloren. Seitdem war sie nie wieder hierhergekommen. Brigonius war froh, dass sich ihr Umgang auf
Briefe und die trockenen Worte juristischer Vereinbarungen beschränkte. Er war froh, Severa los zu sein.
    Bei ihrer Rückkehr in den Süden hatte sie jedoch auch ihre Tochter mitgenommen, und was das betraf, waren Brigonius’ Gefühle zwiespältiger – umso mehr, als er erfuhr, dass Severa zwar in Britannien geblieben, Lepidina aber nach Rom zurückgekehrt war, wo sie aufgewachsen war.
    Er hatte mit Tullio darüber gesprochen. Bei einem nächtlichen Gelage, als sie im Lichtschein der flackernden Fackeln an der Mauer des Walls Flaschen britannischen Bieres leerten, sagte der schroffe alte Bataver, er könne ihn gut verstehen. »Natürlich vermisst du sie. Es spielt keine Rolle, dass du sie nicht haben kannst. Den Mond kannst du auch nicht haben, aber du würdest seine Schönheit vermissen, wenn er vom Himmel gepflückt würde, nicht wahr? Es gibt viele Wege, eine Frau zu lieben, Brigonius. Man braucht nicht mit dem Schwanz vor ihrer Nase herumzuwedeln. Man kann auch von ferne lieben. Ich muss es wissen.« Tullios grobes Gesicht war eine Maske aus Schatten und Narben. Für Brigonius war es ein seltener Blick in die Seele dieses rauen, tüchtigen Mannes, und er fragte sich, wie es wohl für Tullio gewesen war, als junger Rekrut die Heimat verlassen zu müssen, über den Ozean gebracht zu werden und sein Leben dann an einem Ort wie diesem zu fristen, so fern von daheim.
    Allmählich war das Trauma jener Nacht in Primigenius’ Höhle verblasst. Irgendwann hatte Brigonius sich wieder verliebt. Aber er

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