Imperator
Kastell führende Hauptstraße entlang, die wie in jeder derartigen römischen Festung im gesamten Imperium via praetoria genannt wurde. Banna war jetzt keine Zeltstadt mehr. Gebäude drängten sich um ihn wie riesige Ziegelsteine: die Mannschaftsbaracken zu beiden Seiten, und vor ihm die gedrungenen Blöcke des praetorium , Tullios Kommandantenwohnhaus, und der principia , des offiziellen Hauptquartiers. Dahinter erspähte er das Lazarett und weitere Unterkünfte, Ställe und Werkstätten. In einem freien Bereich hatte man die Fundamente zweier Getreidespeicher gelegt, die einen Jahresvorrat für tausend Mann beherbergen konnten; ihre Böden würden zum Schutz vor den Elementen erhöht sein. Aber sie mussten erst noch errichtet werden. Alles ging immer nur langsam voran, behindert vom Mangel an örtlichen Gütern und Rohstoffen. Eines der imposantesten Gebäude war die Exerzierhalle, in der die Soldaten bei rauestem nördlichem Wetter ausgebildet werden konnten; sie war ein Monument aus Stein, groß genug, um darin Speere zu werfen.
Auf den Straßen herrschte reges Leben; nicht nur Soldaten waren unterwegs, sondern auch ihre Sklaven, außerdem örtliche Händler und Arbeiter. Der Zahltag lag noch nicht lange zurück, und die Straßenverkäufer gingen umher, steckten den Kopf in offene Türen und hielten Ausschau nach potenziellen Käufern ihrer Waren und Dienstleistungen. Umfriedet von seinen Mauern,
autark, schloss das Kastell die ungezähmte Landschaft drumherum aus; es war wie eine Insel der römischen Lebensart, dachte Brigonius, unabhängig von der Welt draußen.
Von der brigantischen Siedlung, die einst hier gestanden hatte, war jedoch keine Spur übrig geblieben. Den alten römischen Wachturm hatte man abgerissen, den Wald gerodet, das Marschland trockengelegt. Selbst die alten Hügelgräber, die den Steilhang gesäumt hatten, die Gräber der Urahnen, waren dem Erdboden gleichgemacht worden. Hier war Brigonius zur Welt gekommen, ebenso wie die Vorfahren von Severa und Lepidina; hier hatte die seltsame Prophezeiung vor langer Zeit Nectovelins Geburt eingeleitet. Heutzutage lebten die einzigen Briganten in einer Hüttensiedlung, die um die Mauern des Kastells herum entstanden war, genauso wie bei Vindolanda. Coventina war endgültig vertrieben worden.
Brigonius erreichte das Hauptquartier. Er überquerte den weiten, von Säulengängen umrahmten Hof mit dem Brunnen und lenkte seine Schritte zur zentralen Querhalle, der Basilika. Diese beiden Bereiche waren groß genug, um sämtliche Soldaten im Kastell aufzunehmen. Im rückwärtigen Teil der Basilika gab es eine Reihe kleinerer Räume, in der Mitte das Fahnenheiligtum, das aedes , mit seiner Hadrian-Statue, den Standarten der Einheiten im Kastell und anderen religiösen Wahrzeichen. Zwei Räume zu beiden Seiten waren die Schreibstuben des Adjutanten, des cornicularius , und der signiferi , der Standartenträger. Das
Fahnenheiligtum und die Schreibstuben waren nach vornhin offen und nur durch niedrige schmiedeeiserne Gitter abgetrennt. Dieser kleine Bereich war das Herz des Kastells. Die signiferi waren für so wichtige Dinge wie die Besoldung und die Verwahrung der Ersparnisse der Soldaten zuständig, und in einem Raum mit verstärkten Mauern hinter dem Fahnenheiligtum lagerte das Bargeld des Kastells. Brigonius hatte von Anfang an zugesehen, wie er gebaut wurde; er hatte den Römern sogar einen großen Teil der Steine verkauft, die sie dafür gebraucht hatten. Es war alles noch so neu, dass ihm der muffige Geruch von frischem Putz in die Nase stieg.
Und heute hielt der Kommandant des Kastells in der Basilika einen Empfang für Sabinus’ Gruppe ab. Von dem hübschen, jungen Tribun war nur noch wenig übrig; er war ein hart aussehender Mann seiner Welt geworden, kompetent und korpulent.
Sabinus führte diese Delegation aus Rom an, die sowohl den Senat als auch den Haushalt des Kaisers repräsentierte. Sie war hier, um eine regelmäßige Inspektion des Walls vorzunehmen, sich einen Überblick über die allgemeine Situation im Norden zu verschaffen – und, so munkelte man, sich mit einer kleinen Unannehmlichkeit zu befassen, die etwas mit Claudia Severas Benehmen zu tun hatte. Brigonius war überrascht, dass Sabinus die Verantwortung für ein Problem übertragen bekommen hatte, das seine eigene Schwiegermutter betraf. Aber vielleicht war diese subtile Grausamkeit heutzutage typisch für Rom, das von
einem alternden, gleichgültigen und zunehmend
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