Imperium
brennenden Scheine vor die Füße und marschierte weiter. Lubji mußte daran denken, wie viele Monate er gebraucht hatte, um so viel Geld zu sparen. Die Gefangenen standen frierend in der steinernen Halle. Die Wachen, von denen einige rauchten, während andere sich unterhielten, beachteten sie nicht, als gäbe es die nackten Männer gar nicht. Es dauerte eine gute Stunde, ehe eine weitere Gruppe Männer in die Halle trat, diesmal in langen weißen Kitteln und mit Gummihandschuhen. Sie
schritten die Reihen auf und ab und blieben vor jedem Gefangenen einige Sekunden stehen, um dessen Penis zu betrachten. Drei Männer wurden aufgefordert, sich wieder anzukleiden und nach Hause zu gehen. Mehr schien es nicht zu brauchen, um wieder in die Freiheit zu kommen. Lubji fragte sich, welchem Test die Frauen unterzogen wurden.
Nachdem die Weißkittel gegangen waren, befahl man den Gefangenen, sich anzuziehen; dann wurden sie aus der Halle gebracht. Auf dem Weg über den Hof suchten Lubjis Augen 103
erneut nach einer Fluchtmöglichkeit, doch überall standen Soldaten mit Bajonetten nur wenige Schritte entfernt. Die Gefangenen wurden in einen langen Flur und dann eine
schmale Steintreppe hinunter getrieben, wo in größeren Abständen trübe Petroleumfunzeln an den Wänden hingen und für schummriges Licht sorgten. Sie kamen an überfüllten Zellen vorbei. Schreie und flehentliche Bitten drangen in so vielen verschiedenen Sprachen an Lubjis Ohr, daß er es gar nicht wagte, sich umzuschauen. Plötzlich wurde die Tür einer Zelle aufgerissen; jemand packte Lubji am Kragen und
beförderte ihn kopfüber hinein. Er wäre auf dem Steinboden aufgeschlagen, wäre in der Zelle Platz genug gewesen; statt dessen landete er auf mehreren Leibern.
Einen Augenblick lag er still; dann plagte er sich hoch und versuchte, irgend etwas zu erkennen. Doch da es nur ein sehr kleines, vergittertes Fenster gab, dauerte es eine Zeitlang, bis er einzelne Gesichter ausmachen konnte.
Ein Rabbi leierte einen Psalm herunter, doch offenbar nahmen nur wenige Gefangene Notiz davon. Lubji versuchte auszuweichen, als ein älterer Mann, der direkt vor ihm stand, sich übergab. Er wich vor dem Gestank zurück. Dabei prallte er gegen einen Gefangenen mit heruntergezogener Hose. Dann setzte er sich in eine Ecke, mit dem Rücken zur Wand – so konnte niemand ihn überraschen.
Als die Tür wieder aufschwang, hatte Lubji keine Ahnung, wie lange er sich schon in diesem pestartig stinkenden Verlies befand. Drei Soldaten mit Stablampen traten ein und leuchteten den Gefangenen in die Augen. Blinzelten die Augen nicht mehr, wurde der Betreffende hinaus auf den Korridor gezerrt und nie wieder gesehen. Es war das letzte Mal, daß Lubji Herrn Cerani sah.
Die Tage ließen sich nur daran abzählen, daß Licht und Dunkelheit sich vor dem winzigen Gitterfenster ablösten, sowie an der einen Mahlzeit, die jeden Morgen in einer Schüssel für 104
sämtliche Gefangenen in die Zelle geschoben wurde. Alle paar Stunden kamen die Soldaten, um weitere Leichen hinaus-zuzerren, bis sie sicher sein konnten, daß nur die Zähesten überlebten.
Lubji vermutete, daß auch er über kurz oder lang sterben würde; dies war offenbar die einzige Möglichkeit, aus der engen Zelle hinauszukommen. Mit jedem Tag schlotterte sein Anzug weiter um seinen Körper, und Loch um Loch mußte er seinen Gürtel enger schnallen.
Dann, eines Morgens, stürmte urplötzlich eine Gruppe
Soldaten in die Zelle. Sie zerrten die noch Lebenden hinaus.
Man befahl ihnen, den Korridor entlangzumarschieren und die schmale Steintreppe zum Hof hinaufzusteigen. Als Lubji hinaus in die Sonne trat, mußte er die Hand schützend vor die Augen legen. Er hatte etwa zehn, fünfzehn, vielleicht sogar zwanzig Tage in diesem Verlies zugebracht, und seine Augen waren zu »Katzenaugen« geworden, wie die Gefangenen es nannten.
Und da hörte er das Hämmern. Er drehte den Kopf und sah mehrere Gefangene einen Galgen errichten; vom Balken
hingen acht Schlingen herunter. Wäre Lubjis Magen nicht leer gewesen, hätte er sich übergeben. Ein Soldat stieß ihm mit dem Bajonett gegen die Hüfte, und rasch folgte er den anderen Gefangenen, die in einer Schlange Aufstellung nahmen, um auf die Ladeflächen mehrerer bereits überfüllter Lastwagen zu klettern.
Auf dem Weg zur Stadt ließ ein lachender Wachtposten die Gefangenen wissen, daß sie nun, wie das Recht es verlange, vor ein Gericht gestellt und gleich darauf ins Gefängnis
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