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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
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gegenüber saß. Nein, dachte er. Zu anderthalbt.
    Lubji blickte nach vorn auf die vorüberziehende Landschaft.
    Er schätzte, daß sie jetzt die halbe Strecke zwischen Stadt und Gefängnis zurückgelegt hatten. Neben der rechten Straßenseite verlief ein kleiner Fluß. Es könnte sich als schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen, ihn zu überqueren; schließlich hatte Lubji keine Ahnung, wie tief das Wasser war. Am anderen Ufer erstreckten sich Wiesen bis zu einer Baumgruppe, die nach seiner Schätzung zwischen drei- und vierhundert Meter entfernt war.
    Wie lange würde er mit gefesselten Händen für dreihundert Meter brauchen? Er drehte den Kopf, um festzustellen, ob eine weitere Unterführung in Sicht kam; aber da war keine. In Lubji stieg die Furcht auf, daß sie bereits durch den letzten Tunnel vor dem Gefängnis hindurch waren. Konnte er einen
    Fluchtversuch am hellichten Tag riskieren? Lubji gelangte zu dem Schluß, daß er gar keine andere Wahl hatte, wenn es auf den nächsten drei Kilometern keinen Tunnel mehr gab.
    Etwa anderthalb Kilometer zogen vorüber. Lubji sagte sich, daß er eine Entscheidung treffen müsse, sobald sie um die nächste Kurve fuhren. Langsam zog er die Beine unters Kinn und legte die Handschellen auf die Knie. Er drückte das Rückgrat gegen die Hinterwand der Ladefläche und legte sein gesamtes Körpergewicht auf die Zehenspitzen.
    Als der Wagen um die nächste Kurve brauste, starrte Lubji 108
    hinunter auf die Straße. Beinahe hätte er »Mazeltov!«
    geschrien, als er ungefähr fünfhundert Meter voraus die Unterführung erblickte. Ausgehend von dem winzigen
    Lichtpunkt am hinteren Ende, schloß er, daß die Fahrt durch den Tunnel mindestens vier Sekunden dauerte.
    Angespannt und sprungbereit kauerte Lubji auf den
    Zehenspitzen. Sein Herz schlug so laut und heftig, daß er befürchtete, die Wachen würden davon alarmiert. Er blickte zu dem zweiarmigen Posten empor, der soeben eine Zigarette aus einer Innentasche
    zog, sie lässig zwischen die Lippen steckte und nach einem Streichholz wühlte. Lubji wandte den Blick wieder in Richtung der Unterführung, die jetzt nur noch etwa hundert Meter entfernt war. Ihm war klar, daß er nur einen winzigen Augenblick hatte, sobald sie in die Dunkelheit eingetaucht waren.
    Fünfzig Meter – vierzig – dreißig – zwanzig – zehn. Lubji holte tief Atem; der Tunnel war jetzt vor ihnen. Er sprang auf, warf die Handschellen um den Hals des Zweiarmigen und drehte mit solcher Kraft, daß der Posten über das Seitenbrett der Ladefläche geschleudert wurde und schreiend auf die Straße hinunterstürzte.
    Bremsen kreischten, als der Laster aus dem Tunnelausgang schlitterte. Lubji sprang über das Seitenbrett und rannte zurück in den vorläufigen Schutz der Dunkelheit. Zwei oder drei andere Gefangene folgten ihm dichtauf. Kaum war Lubji am anderen Tunnelausgang angelangt, stürmte er nach rechts und über eine Wiese hinweg, ohne ein einziges Mal
    zurückzublicken. Er hatte mindestens hundert Meter zwischen sich und die Straße gebracht, als er die ersten Kugeln über seinen Kopf hinwegsirren hörte. Er bemühte sich, die zweiten hundert Meter bis zum Waldrand zurückzulegen, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Alle paar Schritte pfiff ihm eine neue Salve um die Ohren. Er schlug Haken wie ein Hase. Dann hörte er den Schrei. Hastig blickte er über die Schulter und sah 109
    einen der Gefangenen, die ihm gefolgt waren, leblos am Boden liegen, während ein zweiter ihm noch immer folgte, in nur wenigen Metern Abstand. Lubji hoffte, daß der Einarmige der Schütze war.
    Die Bäume ragten jetzt nur noch etwa achtzig Meter entfernt empor. Jede Kugel spornte Lubji wie ein Startschuß an und zwang einen weiteren Meter aus seinem zitternden Körper.
    Dann hörte er den zweiten Schrei. Diesmal schaute er nicht zurück. Noch fünfzig Meter. Ein Gefangener hatte einmal erwähnt, daß deutsche Gewehre eine Reichweite von
    dreihundert Meter besäßen; also brauchte er nur noch sechs, sieben Sekunden, bis er in Sicherheit war. In diesem Moment schlug ihm die Kugel in die Schulter. Die Wucht des
    Geschosses trieb ihn noch einige Schritte weiter; dann landete er kopfüber im Schlamm. Er versuchte zu kriechen, kam aber höchstens zwei Meter weit, bevor er nach vorn aufs Gesicht kippte. Er blieb liegen und fand sich mit dem Tod ab.
    Wenige Augenblicke später spürte er, wie grobe Hände
    seine Schultern packten. Andere rissen ihn an den Fußgelenken in die Höhe.

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