Imperium
Händen als mit Worten, was er in den vergangenen Monaten durchgemacht hatte. Die Frau war voller Mitgefühl und füllte immer wieder seinen leeren Teller nach. Der Bauer dagegen sagte wenig; er war immer noch mißtrauisch.
Als Lubji mit seiner Geschichte zu Ende war, warnte der Bauer ihn: Trotz der mutigen Worte Titos, des Partisanen-führers, hielt er es nur für eine Frage der Zeit, bis die Deutschen in Jugoslawien einmarschierten. Lubji fragte sich, ob es überhaupt ein Land auf der Welt gab, das vor dem deutschen Führer sicher war. Vielleicht mußte er den Rest seines Lebens vor Adolf Hitler davonlaufen.
»Ich muß zur Küste«, sagte er. »Wenn ich mit einem Schiff übers Meer käme …«
»Es spielt keine Rolle, wo du mit dem Schiff anlegst«, sagte der Bauer, »Hauptsache, es ist so weit wie möglich von diesem Krieg entfernt.« Er biß in einen Apfel. »Wenn die Deutschen dich noch mal erwischen, lassen sie dich nicht wieder entkommen. Sieh zu, daß du ein Schiff findest – irgendein 117
Schiff, das dich nach Amerika bringt, oder nach Mexiko oder Westindien, oder wenigstens bis nach Afrika.«
»Wie komme ich zum nächsten größeren Hafen ?«
»Dubrovnik ist zweihundert Kilometer südlich von hier.«
Der Bauer zündete sich eine Pfeife an. »Dort findest du genug Schiffe mit Leuten drauf, die nur zu gern fort von diesem Krieg wollen.«
Lubji sprang auf. »Ich muß sofort los.«
»Nicht so hastig junger Mann«, sagte der Bauer und paffte an der Pfeife. »So schnell kommen die Deutschen nun auch wieder nicht über die Berge.« Lubji setzte sich wieder. Die Frau des Bauern schnitt einen weiteren Brotlaib an, tunkte den Anschnitt in Bratenfett und setzte ihn Lubji vor.
Es waren nur noch ein paar Krumen übrig, als Lubji sich schließlich vom Tisch erhob und dem Bauern aus der Küche folgte. Die Frau packte Äpfel, Käse und Brot in einen Sack und reicht ihn Lubji, bevor dieser zu dem Mann auf den Traktor kletterte. Der Bauer brachte Lubji zum Ortsrand. Die Straße, die sie befuhren, führte zur Küste, wie der Bauer ihm versicherte.
Lubji stapfte los und reckte jedesmal, wenn sich ein
Fahrzeug näherte, den Daumen in die Höhe. Doch in den ersten zwei Stunden hielt kein einziger Wagen. Es war bereits später Nachmittag, als endlich ein klappriger alter Tatra wenige Meter vor ihm stehenblieb.
Lubji rannte zur Fahrerseite, als das Fenster heruntergekurbelt wurde.
»Wohin willst du?« fragte der Mann am Steuer.
»Nach Dubrovnik«, antwortete Lubji lächelnd. Der Fahrer zuckte die Schultern, kurbelte wortlos das Fenster hoch und –
fuhr weiter.
Mehrere Traktoren, zwei Personenwagen und ein Laster
fuhren an Lubji vorbei, bis endlich wieder ein Wagen hielt; der Fahrer stellte die gleiche Frage wie der erste, und Lubji gab die 118
gleiche Antwort.
»So weit muß ich zwar nicht«, sagte der Mann, »aber ich könnte dich immerhin ein Stück mitnehmen.«
Ein Personenwagen, zwei Laster, drei Pferdefuhrwerke und ein Motorrad mit Soziussitz halfen Lubji schließlich, die Reise nach Dubrovnik in drei Tagen zu bewältigen. In dieser Zeit hatte Lubji allen Proviant verzehrt, den die Bäuerin ihm mitgegeben hatte, und alles nur mögliche erfahren, wie er in Dubrovnik ein Schiff finden konnte, das ihm helfen würde, den Deutschen zu entkommen.
Nachdem man ihn am Rand der geschäftigen Hafenstadt
abgesetzt hatte, dauerte es nicht lange, bis Lubji feststellte, daß die schlimmsten Befürchtungen des Bauern sich bewahr-heiteten: Er sah, wie die Einwohner sich auf eine deutsche Invasion vorbereiten, wohin er auch blickte. Lubji hatte nicht die Absicht, noch einmal so lange zu warten, bis die Nazis sich der Stadt näherten. Hier würden sie ihn nicht im Schlaf überraschen.
Wie der Bauer es ihm geraten hatte, begab er sich sofort zum Hafen. Die nächsten zwei Stunden schritt er den Kai auf und ab und versuchte zu erraten, welche Schiffe von woher kamen und wohin sie wollten. Drei Schiffe zog er in die engere Wahl, ohne jedoch zu wissen, wann sie auslaufen würden oder was ihr Bestimmungshafen war. So streifte Lubji im Hafen herum, doch sobald er irgend jemanden in Uniform sah, verschwand er eiligst in einem der vielen Gäßchen des Hafenviertels. Einmal tauchte er sogar hastig in einer überfüllte Kneipe unter, obwohl er gar kein Geld besaß.
Er setzte sich in die hinterste Ecke der schmuddeligen Kaschemme, hoffte, nicht aufzufallen und lauschte den Gesprächen, die in verschiedenen Sprachen an den
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