Imperium
Chefredakteur der Zeitung.
Schultz war knapp eins sechzig, hatte glanzlose, graue Augen, kurzen Bürstenschnitt und trug einen dreiteiligen Vorkriegsanzug, der für ihn geschneidert worden sein mußte, als er gut fünf Kilo schwerer gewesen war. Sein Hemd war am Kragen und an den Manschetten ausgefranst, und die dünne schwarze Krawatte glänzte fettig.
Armstrong lächelte zu ihm hinunter. »Sie und ich haben etwas gemein«, stellte er fest.
Nervös verlagerte Schultz vor dem hochgewachsenen
britischen Offizier sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Und das wäre?«
»Wir sind Juden«, antwortete Armstrong.
»Das hätte ich nie gedacht«, gestand Schultz ehrlich
überrascht.
Armstrong konnte ein zufriedenes Lächeln nicht zurückhalten. »Ich möchte von Anfang an klarstellen«, sagte er, »daß ich beabsichtige, Ihnen jede Unterstützung zukommen zu lassen, damit Der Telegraf regelmäßig erscheint. Ich habe nur ein langfristiges Ziel: eine höhere Auflage zu erreichen als Der Berliner. «
Schultz meinte skeptisch: »Vom Berliner werdentäglich 198
doppelt so viele Exemplare verkauft wie vom Telegraf. Das war schon vor dem Krieg so. Beim Berliner haben sie viel bessere Druckmaschinen, mehr Personal und den Vorteil, sich im amerikanischen Sektor zu befinden. Ich glaube, Sie haben sich da ein Ziel gesetzt, das diese Zeitung niemals erreichen kann, Captain.«
»Dann werden wir bei dieser Zeitung wohl einiges ändern müssen, nicht wahr?« sagte Armstrong. »Betrachten Sie mich ab sofort als Besitzer dieses Zeitungsverlages. Sie selbst werden als Chefredakteur weitermachen. Wie wär’s, wenn Sie mir Ihre Probleme nun genauer darlegen ?«
»Wo soll ich anfangen?« überlegte Schultz laut und blickte zu seinem neuen Chef auf. »Unsere Druckmaschinen sind alt und viele Teile verschlissen. Und es ist unmöglich, Ersatz dafür zu beschaffen.«
»Stellen Sie eine Liste aller Dinge auf, die Sie benötigen.
Ich sorge dafür, daß Sie bekommen, was Sie brauchen.«
Schultz machte keinen sonderlich überzeugten Eindruck. Er putzte seine zerkratzte Brille mit einem Taschentuch, das er aus der Jackentasche gezogen hatte. »Dann ist da noch das ständige Problem mit dem Strom. Kaum habe ich die Maschinen am Laufen, wird er abgeschaltet. Das passiert mindestens zweimal die Woche, so daß wir die Zeitung gar nicht erst herausgeben können.«
»Ich werde mich darum kümmern, daß so etwas nicht
wieder vorkommt«, versprach Armstrong, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er das bewerkstelligen sollte. »Was sonst noch?«
»Die Zensur«, erwiderte Schultz düster. »Der Prüfer legt jedes Wort in meinen Artikeln auf die Goldwaage. Das führt unweigerlich dazu, daß die Berichte zwei, drei Tage zu spät erscheinen und dadurch jede Aktualität verlieren. Und weil der Zensor den Rotstift stets bei den interessantesten Artikeln ansetzt, bleibt nicht viel Lesenswertes übrig.«
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»Ich verstehe«, sagte Armstrong. »Von nun an werde ich die Überprüfung vornehmen, was Sicherheitsrisiken betrifft. Und ich werde mit dem Zensor reden, damit Ihnen diese Probleme in Zukunft erspart bleiben. Sonst noch was?«
»Ja, Captain. Das größte Problem wird erst dann auf mich zukommen, wenn der Strom nicht mehr ausfällt.«
»Das begreife ich nicht«, gestand Armstrong. »Wieso kann es zum Problem werden, wenn die Druckmaschinen ungestört laufen?«
»Weil mir dann das Papier ausgeht.«
»Wie hoch ist Ihre derzeitige Auflage?«
»Hundert-, hundertzwanzigtausend. Im Höchstfall.«
»Und Der Berliner? «
»Eine Viertelmillion ungefähr.« Schultz machte eine Pause.
»Regelmäßig.«
»Ich werde dafür sorgen, daß Sie genug Papier für eine tägliche Auflage von einer Viertelmillion erhalten. Aber Sie müssen sich noch bis Ende des Monats gedulden.«
Schultz, normalerweise ein sehr höflicher Mann, kam nicht einmal auf die Idee, sich zu bedanken, als Captain Armstrong ihn verließ, um zu seinem Büro zurückzukehren. Mochte dieser britische Offizier noch so selbstsicher sein – Schultz hielt es für unmöglich, daß der Mann seine Versprechen einlösen konnte.
Gleich nach seiner Rückkehr wandte Armstrong sich an
Sally und bat sie, eine Liste sämtlicher Dinge zu tippen, um die Schultz gebeten hatte. Als die Liste fertig war, überprüfte Armstrong sie; dann gab er Sally den Auftrag, zwölf Kopien anzufertigen und ein Treffen der gesamten Belegschaft zu organisieren. Eine Stunde später zwängten sich alle
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