Imperium
kamen mit, man schwieg. Engelhardt streifte Sandalen und Strumpfsocken ab, nahm auf der Hinterbank Platz, und mit einer einzigen Vorwärtsbewegung kreuzten sie nach Kabakon, unter vollem Segel, das sich im Ostwind prächtig bauschte. Fliegende Fische begleiteten, silberne Parabeln springend, das Kanu. Er kostete die salzige Meeresluft, wackelte mit den nackten großen Zehen hin und her und schwor sich lächelnd, die Sandalen alsbald nicht wieder anzuziehen. Nach einer guten halben Stunde erschienen am Horizont die grünen Umrisse seines Eilandes. Einer der Männer deutete mit dem Stumpf seines Armes hinüber, blickte über die Schulter und offerierte dabei lächelnd Einblick auf sein perfektes weißes Gebiß, auf zwei dicht geschlossene, elfenbeinerne Zahnreihen.
Eine eigene Insel zu besitzen, auf der in freier Natur die Kokosnuß wuchs und gedieh! Es war Engelhardt noch gar nicht vollständig ins Bewußtsein vorgedrungen, doch jetzt, da das kleine Boot vom offenen Ozean in das stillere, transparente Gewässer einer kleinen Bucht glitt, deren hellgezauberter Strand von majestätisch hochragenden Palmen umsäumt war, begann sein Herz auf und nieder zu flattern wie ein aufgeregter Sperling. Meine Güte, dachte er, dies war nun wirklich seins! Dies alles!
Er sprang vom Kanu ins Wasser, watete die restlichen Meter an den Strand und fiel auf die Knie in den Sand, so überwältigt war er; und für die schwarzen Männer im Boot und die paar Eingeborenen, die sich mit einer gewissen phlegmatischen Neugier am Strand eingefunden hatten (einer von ihnen trug gar, als parodiere er sich und seine Rasse, einen Knochensplitter in der Unterlippe), sah es aus, als sei es ein frommer Gottesmann, der dort vor ihnen betete, während es uns Zivilisierte vielleicht an eine Darstellung der Landung des Konquistadoren Hernän Cortes am jungfräulichen Strande von San Juan de Uliia erinnert, allerdings gemalt, falls dies denn möglich wäre, abwechselnd von El Greco und Gauguin, die mit expressivem, schartigem Pinselstrich dem knienden Eroberer Engelhardt abermals die asketischen Züge Jesu Christi verleihen.
So sah die Besitznahme der Insel Kabakon durch unseren Freund ganz unterschiedlich aus, je nachdem von welcher Warte aus man das Szenario betrachtete und wer man tatsächlich war. Diese Splitterung der Realität in verschiedene Teile war indes eines der Hauptmerkmale jener Zeit, in der Engelhardts Geschichte spielt. Die Moderne war nämlich angebrochen, die Dichter schrieben plötzlich atomisierte Zeilen; grelle, für ungeschulte Ohren lediglich atonal klingende Musik wurde vor kopfschüttelndem Publikum uraufgeführt, auf Tonträger gepreßt und reproduziert, von der Erfindung des Kinematographen ganz zu schweigen, der unsere Wirklichkeit exakt so dinglich machen konnte, wie sie geschah, zeitlich kongruent, als sei es möglich, ein Stück aus der Gegenwart herauszuschneiden und sie für alle Ewigkeiten als bewegtes Bild zwischen den Perforationen eines Zelluloidstreifens zu konservieren.
Alles dies aber berührte Engelhardt nicht, da er ja gerade auf dem Weg war, sich nicht nur der allerorten beginnenden Moderne zu entziehen, sondern insgesamt dem, was wir Nichtgnostiker als Fortschritt bezeichnen, als, nun ja, die Zivilisation. Engelhardt tat einen entscheidenden Schritt nach vorne auf den Strand - in Wirklichkeit war es ein Schritt zurück in die exquisiteste Barbarei.
Die erste Hütte wurde nach Art der Eingeborenen errichtet. Nun erschien erstmals auch Makeli, ein vielleicht dreizehnjähriger Junge, der schüchtern, aber dickköpfig gegen Nachmittag durch die Mangroven gestapft kam, Engelhardts hellsandige Bühne betrat und dann nicht mehr von seiner Seite weichen wollte. Sechs Männer kamen und zeigten ihm, wie man Palmblätter miteinander verwob, um daraus ein Dach und Wände zu flechten. Sie schenkten ihm Früchte, und er stillte seinen Durst, man gab ihm ein Lendentuch, er zog sich nackend aus, sie hüllten seinen Unterleib damit ein und verknoteten die Enden unterhalb seines Bauchnabels, die Sonne stach mit erbarmungsloser Vehemenz vom Himmel, bald waren seine Schultern rotverbrannt.
Makeli wählte den Ort, an dem die Hütte stehen sollte, geschickt aus; man schlug eine Schneise vom Strand in den Busch, rammte einige Eckpfosten in den freigelegten morastigen Boden, den man vorher ein paar Stunden durch Entfernung des Oberholzes an der Sonne ausgedörrt hatte, und begann nun, die derweil entstandenen Palmwedelmatten
Weitere Kostenlose Bücher