Imperium
Vergleiche zur echten, wirklichen Zeit anstellen konnte (die Pendeluhr in der Residenz des Gouverneurs, drüben in Herbertshöhe, die man als Maßzeit für das Schutzgebiet ansehen konnte, war durch die Unachtsamkeit des Hauspersonals stehengeblieben, während sich Hahl in Singapore auszukurieren suchte) -, hatte er plötzlich das Gefühl, er würde nach hinten fallen, ein schmerzhafter, bohrender Stich im linken Oberarm fuhr in ihn, dort, beim Herzen, so, als übermanne ihn tatsächlich in seinen jungen Jahren ein Schlaganfall. Deutlich sah er die dahintickende Uhr, seine inzwischen konstruierte Bastliege und das darüber mit einem Kokostau befestigte Moskitonetz, schon fiel er in die Zeit hinab, bis sich vor seinen Augen, erst schemenhaft, dann ganz und gar deutlich scharf gestochen, nicht nur die kanariengelb und violett gestrichenen Wände seiner Kinderstube manifestierten, sondern auch die wohlriechende Erscheinung seiner Mutter, die sich mit besorgt herausgeschobener Zungenspitze über ihn beugte und seine heiße Stirn mit einem geeisten Baumwollappen bearbeitete. Seine Mutter war nicht nur zu sehen, sondern auch tatsächlich zu empfinden, als sei sie nicht längst tot, sondern im höchsten Maße präsent und unendlich - die grenzenlose Liebe, die er für sie fühlte, war in der Tat eine kosmische, eine göttliche Wahrnehmung.
Die Mutter führte ihn mit sanften und beruhigenden Worten nach draußen, auf die Terrasse des Elternhauses, und er roch die ihren schweren Duft verströmenden Rosenstöcke, die sich unten im Garten rankten. Mitten in der Nacht war es, die sommerlichen Grillen veranstalteten ihr somniferes Nachtkonzert, da deutete die Mutter zum Himmel, um ihm jenes immense Feuerrad zu zeigen, das sich dort droben am dunklen Firmament drehte. Es erschien dem Kind wie ein alles verschlingender, grausam hungriger, unersättlicher Mund.
Zitternd vor Angst verschloß er die Augen vor dem ungeheuerlichen, brennenden Menetekel, das Gesicht im Busen der Mutter verbergend, dessen wohlige Fülle ihn augenblicklich noch tiefer fallen, will sagen, weiter den Strom der Zeit hinauftreiben ließ, bis er in einem Kinderwagen zu liegen kam, mitunter unbeweglich, da sein Säuglingskörper noch nicht in der Lage war, sich zu drehen oder die Händchen auszustrecken. Jedoch erfühlten sie die bestickten Laken, mit denen man ihn zugedeckt hatte, ja, er nahm das hellblau karierte Muster eines Häubchens am Rande seines Gesichtsfeldes wahr und sah über sich die unendlichen Verästelungen eines sommerlichen Kirschbaumes, unter den man den Kinderwagen zur Mittagsstunde geschoben hatte. Er hörte helles Lachen, Gläser, die aneinander gestoßen wurden, das Gebell eines Dackels. Eine rosafarbene, an den Rändern nachtblau marmorierte Blüte segelte langsam herab und kam sachte auf seinem Gesichtchen zu ruhen.
Unversehens überkam ihn das blümerante Gefühl, sein Körper würde schweben. Noch früher war es nun. Eine weiche Oberfläche, die ihn einhüllte, dann der nicht unangenehme Eindruck, man ziehe ihn über einen Bimsstein, nein, über eine ganze vulkanische Fläche aus eben diesem Gestein; stundenlang schwebte er wenige Zentimeter über jener Fläche, als sei er ein mit Leichtgas gefüllter Ballon, der angesichts der rauhen Oberfläche des Gesteins zu zerbersten droht, es dann aber unter Mühen schafft, sich frei zu machen; dort war eine Klippe, ein Ziehen, ein Zurren, endlich fiel er hinab, ein katastrophaler Sturz zur Erde hin, als sei er selbst jene Blüte, die aus dem Baumwipfel herabgegondelt war, dann wurde er wach.
VI
Engelhardt hatte während des Aufenthalts auf seiner Insel nicht nur etliche Pfund abgenommen, sondern war durch die gesunde Lebensweise drahtig und muskulös, seine Haut nun von einem satten Dunkelbraun, und sein Haupthaar und Bart, die er allmorgendlich mit Kokos-Öl einrieb, waren durch Sonne und Salz hellblond und golden geworden. Das Öl, das seine Arbeiter auf Kabakon preßten, wurde entsprechend seinen Anweisungen auf dem Festland in Halbliter-Flaschen abgefüllt und mit einem ansprechenden, vom Herbertshöher Postbeamten entworfenen Etikett versehen, das Engelhardts etwas geschöntes, bärtiges Profil zeigte (Die Alternative, aus dem gestockten Öl den Grundstoff für die in Deutschland sehr gefragte Margarine und das Palmin-Kochfett zu liefern, wie es der Großteil der Kokospflanzer im Schutzgebiet bevorzugt tat, kam für ihn aus ethischen Gründen überhaupt nicht in Frage - er
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