Imperium
Gebrüder Kellogg, die Halsey ans andere Ende der Welt geschickt hatten, waren davon überzeugt, daß die Gedankengänge ihres Zöglings in gewisser Weise zu radikal für ihre Zeit scheinen mußten, aber sie waren zweifellos auch in ihn verliebt, etwa so, wie man sich die Liebe zwischen Onkel und Neffen vorstellen kann, sie wollten ihn nur nicht auf dem gleichen Kontinent haben, da er sie in ihren Grundfesten kritisiert, ihnen sozusagen an der Moral geknabbert hatte.
Jedenfalls saß man anderntags am selben Tisch im Frühstückszimmer der kleinen Pension, deren Schaufenster hinausgingen auf eine leicht abschüssige staubige Straße, so daß die sporadisch auftretenden Regengüsse sie meist in einen matschigen Sturzbach verwandelten.
Frangipaniblüten trieben dann die Straße hinab und kamen vor der Pension zu liegen, so auch heute, denn es regnete aufs Heftigste, und Engelhardt bereitete sich mit einiger Sorgfalt eine Tasse Heilerde zu, um den Tag lesend in der Pension zu verbringen und sich dann auf die wohlverdiente Abfahrt aus Australien vorzubereiten.
Halsey sprach ihn interessiert an, was das denn für ein Extrakt sei, den sich Engelhardt dort mische, und wurde belehrt, daß es sich um Heilerde handele; im Grunde könne man jedwede Erde nehmen, wenn man des Originalproduktes aus Deutschland nicht habhaft werden könne, sie enthalte sämtliche Mineralien, die der Körper benötige, denn seine Besuche in der sogenannten Zivilisation würden jene Stoffe aus Engelhardt heraussaugen, nur so könne er gesund bleiben. Aber wohne denn Engelhardt nicht in der Zivilisation, wollte Halsey wissen, worauf dieser mit einer Portion nonchalantem Stolz erwiderte, er sei Leiter und Schöpfer des Sonnenordens und betreibe eine Kokosplantage in den nördlich von Australien gelegenen deutschen Kolonien, es komme also auf die Definition des Wortes Zivilisation an. Ein wahres Wort, sagte Halsey und erbat sich, von der Heilerde kosten zu dürfen. Er sei Vegetarier und freue sich immer, etwas Neues auszuprobieren, an dessen Herstellung kein Tier habe leiden müssen.
Halseys Idee, die er Engelhardt nun also bei einer gemeinsamen Tasse Heilerde erläuterte, war es, eine Würzpaste zu entwickeln, die man als gesunden Brotaufstrich - auf rein pflanzlicher Basis natürlich - verwenden könne, um so jung und alt nicht nur durch den Wohlgeschmack der Paste vom Verlangen nach Fleisch zu kurieren, sondern diesen Aufstrich auch dergestalt anzurühren, daß man vom Geschmack her tatsächlich meine, es sei der beliebte Liebigs Fleischextrakt, den man sich auf den Frühstückstoast streiche.
Gekocht, im Glase konserviert und aus Malz und Hefe bestehend, würde das neue Nahrungsmittel vitaminreich und köstlich sein und schaffe, und dies sei die eigentliche Idee - da, so Halsey, hinter jedem guten, die Welt verändernden Gedanken ein weiterer, versteckter Gedanke stehen müsse -, einen neuen Menschen, einen vegetarischen, gesunden, kräftigen Menschen, der nicht das schreiende Unrecht der leidenden Tiere zu verantworten habe. Kurz, Halsey wollte seine Mitmenschen durch eine Überlistung des Gaumens erziehen. In großen Bottichen solle die dunkelbraune Hefesubstanz köcheln, weltweit in eigens dafür errichteten Fabriken (denn man müsse die Paste in riesigen Mengen herstellen), so sah er es vor seinem geistigen Auge. Engelhardt war einerseits gerührt ob des Vertrauens, das Halsey ihm so freigiebig schenkte, obwohl sie sich ja gerade mal zehn Minuten kannten (rechnen wir die Nacht, in der beide, ohne voneinander zu wissen, Kopf an Kopf schliefen und sozusagen im Träume ineinander emanierten, nicht dazu). Es war gewissermaßen eine missionarisch-vegetarische Idee, die dieser junge Adventist äußerte, Engelhardts eigenen Vorstellungen nicht unähnlich.
Nun grübele er aber seit Wochen schon über einen passenden Namen nach und komme zu keinem Ergebnis. Er habe hier, bitte sehr, ein Papier mit möglichen Namen, die meisten durchgestrichen. Ob Engelhardt nicht eventuell eine offenbarende Idee habe? Möglichst gesund solle es klingen, und mit einer harmonischen Abfolge von Konsonanten und Vokalen. Er solle sie ihm, so Halsey, doch bitte schenken. Engelhardt hielt den jungen Amerikaner an, doch im Gegenzug mit ihm nach Neupommern zu fahren und sich probeweise drei Monate ausschließlich von Kokosnüssen zu ernähren. Während dieser Zeit hätte er dann Gelegenheit, sich über die Streichwürze, deren Herstellung (könne man sie nicht eventuell auch
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