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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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vor ein paar Jahren das ostafrikanische Wituland, dazu die Inseln Sansibar, Lamu und Pemba gegen Helgoland abgetreten zu haben, und teilte sich das Fleisch mehrerer Kokosnüsse. Es war bewölkt und windstill. Vor ihnen im Sande rüsteten sich, einander im Zickzack in Schach haltend, winzige Krebse zum Zweikampf. Aueckens, von dem man ja beileibe noch nicht verlangen konnte, vollständig Kokovore geworden zu sein, aß dazu einige Bananen, und Engelhardt hielt eine kleine Ansprache auf seinen Besucher. Die Kokosschale wie ein Glas Franken wein erhebend, dankte er dem Helgoländer, den weiten Weg hierher gefunden zu haben. Gemeinsam werde man bald, durch gutes Beispiel vorangehend, weitere Mitglieder des Sonnenordens aufnehmen können, denn, und nun hörte man sie Schale an Schale stoßen und dabei Vivat! rufen, eine gute Idee setze sich ganz von alleine durch.
    Die Menschheit sei indes noch nicht ganz bereit, Engelhardts Idee zu akzeptieren, sie müsse erst einmal beginnen, sich selbst zu transzendieren, und er bemühte folgende Analogie (bei dessen Ausführung sich Aueckens, den Kopf leicht schräg haltend, nachdenklich an der Stirn kratzte): Wenn sich beispielsweise eine Ameise über ein Stück Schokolade hermache, welches sie beim Herumstöbern mittels des doch schon erstaunlich komplex konstruierten Sensoriums ihrer Fühler ausfindig gemacht habe, so sei dies ein Vorgang, der innerhalb des ameislichen Vorstellungshorizonts nachvollziehbar sei und ihr durchaus selbstverständlich erscheine. Komme aber jetzt ein Mensch hinzu, der seine Schokolade davor schützen wolle, daß beispielsweise das Insekt seine Kollegen benachrichtige, um sich gemeinsam der Naschware zu bemächtigen, und die Schokolade vor diesen im Inneren eines Eisschrankes verberge, dann habe die immer noch auf der Schokoladenoberfläche herumwandernde Ameise (deren tastende Bewegungen aufgrund der Kälte stetig langsamer und unsicherer würden) keine Möglichkeit zu durchschauen, was denn gerade geschehe. Der Umstand, sie und das Objekt ihrer Begierde seien nun in eine kalte, lebensfeindliche Umgebung gesteckt worden, liege vollkommen außerhalb ihrer Begrifflichkeit, die Ameise könne selbst in einhunderttausend Jahren nicht den Mechanismus verstehen, dem ihr nun einsetzender, eigener Kältetod zugrunde liege, fehle ihr doch das ganglionische Rüstzeug, beispielsweise zu begreifen, warum es für eine Kultur überhaupt nötig geworden sei, einen Schrank zu konstruieren, in dem man durch Beigabe von Eisblöcken Dinge kühl halten könne. Ganz ähnlich gehe es dem Menschen, der verstehen wolle, zu welchem Zweck er sich auf diesem Planeten befinde: Des Menschen Sensorium reiche einfach nicht aus, den gesamten Hintergrund der Tatsache seiner eigenen Existenz zu erfassen. Könne er dies (es läge aber, wie gesagt, im Rahmen des vollkommen Unmöglichen), so würde sich der Schleier der Maja heben, und er würde sein Dasein transzendieren, würde gottgleich werden, ganz analog zur Ameise, die endlich zu uns, zu ihren auf ewig unverständlich agierenden, immensen Gottheiten vorstoßen würde. Aueckens, der nicht recht verstand, was Engelhardt mit der Ameise und der Schokolade erklären wollte, hörte in dem Augenblick auf zuzuhören, als er bemerkte, daß es schon eher ein richtiges Haus war, das Engelhardt sich hier inzwischen gebaut hatte: eine tadellose, zwei Meter breite Veranda aus Jackbaumholz umschloß die gesamte Konstruktion, die Wände der Innenräume waren mit hübschen Muscheln dekoriert, ein Schachbrett stand aufgebaut und spielbereit auf einem Stück Treibholz, ein bedächtig gepflanzter, anmutiger Blumengarten, von bunt leuchtenden Kolibris umschwirrt, war im Begriff zu entstehen. Es gab Fenster, die durch hölzerne Jalousien ordentlich vor der Witterung und diversem Getier verschließbar waren, und klappte man die Läden am Abend nach innen zu, so fühlte man sich sicher und heimelig, eine Empfindung, die Engelhardt wohlig durchdrungen hatte, als er die erste Nacht in seiner neuen Behausung geschlafen hatte. Ja, seien wir ehrlich, hatte er es gar nicht selbst konstruiert, sondern einen geschickten Zimmermann aus Herbertshöhe kommen lassen, der das Drei-Zimmer-Heim binnen einer Woche errichtet und ihm auf seine Anweisung hin auch noch einen Schrein aus wohlriechendem Sandelholz gebaut hatte, auf welchen Engelhardt eine alte, hölzerne Schnitzfigur so positioniert hatte, daß deren unergründlicher Blick durch alle Räume des Hauses

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