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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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floß.
    Diesem Fetisch, den ihm eine Abordnung seiner Arbeiter bei einer kleinen Zeremonie feierlich überreicht hatte, fehlte im übrigen auf ganz ähnliche Weise wie dem Hoteldirektor Hellwig ein Ohr - das Ergebnis einer Amputation, die vor gut zwanzig Jahren ein betrunkener Missionar beim verzweifelten Versuch vorgenommen hatte, den Insulanern des Neulauenburg-Archipels den katholischen Glauben dadurch näherzubringen, daß er mittels eines Beiles ihre Idole schändete. Selbiger Padre fand sich, kaum hatte er den Rausch ausgeschlafen, von seinem eigenen Beil erschlagen wieder, hernach zum Ausbluten an einen Baum gehängt und anschließend auf einem Zeremonialstein in kleine Stücke portioniert, von denen die ausgesuchtesten dem damaligen Besitzer der Figur, einem einflußreichen Häuptling, gedämpft und in Pandanusblätter gewickelt, serviert wurden. Jener Grande, dem es durchaus nicht an Humor fehlte, ließ es sich nicht nehmen, zum Dessert das Ohr des Missionars auf einem Holzspieß knusprig rösten zu lassen, quid pro quo sozusagen.
    Doch werfen diese eher bestialischen Umstände (die auch tatsächlich schon eine ganze Weile zurückliegen) einen morbiden Schatten über Engelhardts Dasein im Paradies, wo doch eigentlich alles nach seinen Wünschen verlief: der erste Adept war aus Deutschland angereist, die Eingeborenen nicht nur befriedet und halbwegs vegetarisiert, sondern mehr als wohlwollend und arbeitswillig gestimmt. Seine Bücherkisten, die vollzählig und von den feuchten Widrigkeiten der zahlreichen Überfahrten unbeschadet geblieben waren, wurden von den Segelkanus an den Strand gebracht, endlich ausgepackt und seine ihm hochheiligen Bücher zuerst längs den Wänden seines Häuschens gestapelt und anschließend, nach und nach, einem genauen alphanumerischen System folgend, in eigens dafür konstruierte, modern anmutende Regale eingeordnet. Engelhardt, dem die Bewohner Kabakons also nachsagten, er besitze das, was sie mana nannten (und das wir Europäer mitunter einfach als masel kennen), war für kurze Zeit ganz simpel und einfach glücklich. Die ersten dunklen Wolken jedoch waren schon im Anmarsch, und zwar zügig, wie wir nun sehen werden.
    Manchmal, so war es ihm als Kind erschienen, existierte noch eine Welt neben dieser Welt, in der sich alles auf wunderliche, aber durchaus nachvollziehbare und stringente Weise anders entwickelt hatte. Ganze Kontinente erhoben sich fremdartig und unbekannt aus nie gesehenen Ozeanen, der Verlauf ihrer Küsten zog sich rauh und unkartographiert über den von einem Doppelmond beschienenen Planeten. Aus weiten, von Wildgras überzogenen, menschenleeren Ebenen ragten Städte steil empor, deren Baumeister niemals aus der Abfolge unserer Architekturgeschichte geschöpft hatten, die Gotik war ihnen so unbekannt geblieben wie die Gebäude der Renaissance, statt dessen folgten sie eigenen, vollkommen fremdartigen ästhetischen Maßgeblichkeiten, die ihnen diktierten, ihre halsbrecherisch hohen Türme und Mauern seien nur so und nicht anders zu konstruieren. Fesselballone in allen nur erdenklichen Farben und Ausformungen bevölkerten den Himmel über jenen Städten, die ihrerseits nächtens von bunten Leuchtfeuern beschienen wurden. Sanfte, unseren Hirschen ähnliche Tiere grasten vor den Toren ohne Furcht, sie würden von den Einwohnern jener Städte gefangen und gegessen werden. Nur Menschen waren ihm nie erschienen, nicht ein einziges Mal. Manchmal sah er diese Welt noch immer in seinen nächtlichen Träumen, und erwachte er dann, sehnte er sich mit fast schmerzhaftem Verlangen dorthin zurück.
    Morgens marschierte Engelhardt den Strand hinunter und, theatralisch mit erhobenem Knöchel an Aueckens’ Palmwedelhütte klopfend, weckte er seinen Mitstreiter mit den freilich stark deutsch akzentuierten Worten: In the hollow Lotosland to live and lie reclined, on the hills like Gods together, careless qf mankind. Aueckens schreckte hoch, erhob sich nackend von seinem Sandbett, rieb sich den Schlaf aus den Augen, räusperte sich umständlich und begann, die widerspenstige Locke dabei aus der Stirn schiebend, Tennysons berühmtes Gedicht weiterzusprechen: Then someone said, »We will return no more« And all at once they sang, »Our island home is far beyond the wave; we will no longer roam.«
    Man lachte prustend, den weihevollen Zeilen den Ernst nehmend, schlug sich zum Gruß mit dem Ruf auf die Schultern, man müsse doch einfach Lotos durch Kokos ersetzen, dann rannten beide

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