Imperium
Langeweile geborene, streng geheime Marotte, auch seine gesammelten Fußnägel als Nahrungsquelle zu nutzen, untersagte er sich beim Anblick des mit freudiger Skepsis erwarteten Virtuosen), und lief, den rechten Arm emporgereckt, zum Strand hinunter, um seinen Gast aus Deutschland zu begrüßen, der ermattet und ausgelaugt in den Sand gesunken war. Derweil schlich ein Schatten um das Haus und stahl mit flinker, sicherer Hand die dort in der Sonne blinkende Schere - anzunehmen, daß es Makeli war.
Lützows Ankunft hatte in Rabaul für einige Aufregung gesorgt; besonders unter den wenigen deutschen Damen, die sich von dem berühmten Musikus zumindest eine Aufwertung ihrer von Langeweile, Lästereien und unendlichen Wiederholungen gekennzeichneten Soireen erhofften, bestenfalls aber die Möglichkeit zu einem kleinen Flirt. Abend für Abend wurde der junge, hübsche, in weißes Flanell gekleidete Berliner also erst einmal an das Klavier des Deutschen Klubs eher gezerrt als gebeten, um die dort versammelten Pflanzer und ihre Gattinnen mit einem aus Versatzstücken modischer Musik zusammengewürfelten Repertoire zu unterhalten. Sie verlangten von ihm rührselige Schlager, er spielte alles wie gewünscht auf dem schrecklich klingenden Instrument, sowie Donizetti und Mascagni und vor allem den klebrigen Bizet.
Schnell hatte sich allerdings herumgesprochen, daß Lützow gedenke, sich bei August Engelhardt auf Kabakon anzusiedeln, was zu einer Aufwertung Engelhardts bei gleichzeitiger Abwertung Lützows führte; man versuchte, ihn mit allen Mitteln davon abzuhalten, der Nürnberger drüben auf seinem Eiland sei doch nicht ganz bei Trost, er ernähre sich, es sei kaum zu glauben, so erzählten sie ihm, abwechselnd nur von Nüssen und Blumen und sei den ganzen Tag über nackt. Die Erwähnung dieses Umstandes allerdings führte bei den Damen zu einer leichten Erhitzung, die sie, schlecht geschauspielt, durch Wedeln mit ihren Handfächern zu übertünchen versuchten. Aus ihren Dekolletees stiegen dabei Düfte von Tuberosen, Verveine und Moschus, die sich wie unsichtbarer Bodennebel ausbreiteten und wohlriechend und andeutungsschwanger durch die Salons des Klubs verwehten. Er solle doch bitte hier in Rabaul bleiben, wo man es lustig und zivilisiert habe - in den nächsten Monaten werde gar ein Marconi-Apparat erwartet, und ob er nicht noch einmal Carmen spielen könne, nur einmal noch?
Lützow nun trieb es an den Rand der Verzweiflung; hier war er Tausende von Meilen gereist, um sich in exakt derselben Situation wiederzufinden, vor der er geflohen war. Die Rabauler Provinzialität indes war um ein Vielfaches ausgeprägter noch als in Berlin, gleichermaßen hätte er sich auch nach Cannstatt oder Buxtehude begeben können. Dort hätten sich dieselben Matronen in ihren unter den Achselhöhlen vergilbten, unmodisch gebauschten Kleidern, aus deren mit Madeiraspitze umflorten Dekolletees ihm überreife Brüste wie Hefeteig entgegenquollen, herübergelehnt, zuckrige Gläser Likör in den beringten Händen, und hätten die gleichen zweideutigen Bemerkungen über seine Fingerfertigkeit gemacht, nur war es hier unendlich heißer und um ein Vielfaches abgeschmackter. Einzig Queen Emma, die sich dem Deutschen Klub und seiner prätentiösen Provinzialität aus guten Gründen fernhielt, hätte ihn wohl aus seiner Niedergeschlagenheit herausreißen können, doch sollten sich die beiden erst zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernen, als es gewissermaßen schon zu spät war.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, unterbrach Lützow eines Abends sein Spiel, zog den Herrn Hoteldirektor Hellwig, der sich allabendlich an den Amüsements im Klub beteiligte, an einen Zweiertisch auf der Veranda und bat ihn, er möge ihm doch den Kauf jenes Klaviers ermöglichen, er biete dreihundert, ach was, vierhundert Mark für das verstimmte Ding. Hellwig, dem der Klubvorstand noch einen größeren Gefallen schuldig war, knapste sich selbst im Geiste einhundert Mark von dieser Transaktion ab und beschied Lützow, der Handel sei so gut wie gemacht, wenn er noch fünfzig Mark Provision für ihn, Hellwig, drauflege. Handschlag.
Der nächste Morgen hatte sich hell und klar über dem zerklüfteten Vulkangebirge der Blanchebucht erhoben, mit einem Schlag war es Tag geworden und um halb sieben bereits so heiß wie in einer Backstube. Acht schwarze Männer hatten schwitzend das Klavier an Bord der kleinen Barkasse gehievt, die normalerweise zwischen der Hauptstadt und
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