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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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Knochenschwund, Rückenschmerzen, Würmern, Lichtempfindlichkeit und Dauer schnupfen.
    Lützow war natürlich, wie ihm auch jahrelang jeder Spezialist in Berlin versichert hatte, kerngesund, so daß er sich, in Ermangelung ärztlicher Bestätigung seiner ausufernden und nur ihm ersichtlichen Krankheitsbilder, einer Reihe von neumodischen Kuren unterzogen hatte, allen voran der Hypnose. Auch hatte er, als die kostspieligen Besuche bei den Charlottenburger Mesmeristen wenig Ergebnisse zeitigten, ja ihm weder Linderung noch besondere Einsichten in die Ursachen seiner sich abwechselnden Leiden verschafften, auf Empfehlung eines befreundeten jüdischen Cellisten eine Reise nach Wien unternommen, um den dort im neunten Bezirk praktizierenden Dr. Sigmund Freud zu bitten, ihm bei einer Untersuchung sozusagen sein Gehirn zu sezieren.
    Doch dieser hatte ihn nach kurzem Gespräch abgewiesen, zu kläglich und uninteressant war dem berühmten Nervenarzt die kleine Hysterie des Berliner Musikers erschienen, so daß dieser, noch am selben Abend seiner Ankunft in Wien, bereits wieder im Zug Richtung Berlin saß, im Geiste hinter Dr. Freuds Namen ein Häkchen setzte und beschloß, er müsse augenblicklich Vegetarier werden, da sich das Leiden der im Schlachthaus sterbenden Tiere stante pede, durch die Nahrungsaufnahme quasi, im Hallraum seines eigenen Körpers morphologisch fortsetzte.
    Lützow warf das im Bahnhofsbuffet gekaufte Schinkenbrot aus dem Fenster des anfahrenden Zuges, sank durch das gleichmäßige Rattern der Eisenbahn in einen unruhigen Dämmerschlaf und besorgte sich, kaum in Prag umgestiegen und im vorabendlichen Berlin angekommen, in einer Buchhandlung am Zoologischen Garten eine ganze Kiste freigeistiger, zeitgenössischer Literatur zum Thema Vegetarismus. Darunter, und Lützow blieb darin sofort gefangen wie eine sich verirrende Biene, die im klebrigen Baumharz anlandet, war auch die Schrift mit dem wohlklingenden Titel Eine sorgenfreie Zukunft. Der Buchhändler hatte etwas von Neu Guinea geraunt, und flugs war Lützow in der Berliner Dependance des Norddeutschen Lloyd erschienen und hatte sich von einer durch und durch elektrisierten und von der Verheißung ausgefallener Eskapaden begleiteten Stimmung ein Billett in die Südsee besorgt.
    Engelhardt, der gerade damit beschäftigt war, sich nach vielen Monaten sonnenbedingten Wachstums endlich einmal wieder die Zehennägel zu schneiden (er verwendete hierfür eine für diesen Zweck um einiges zu große Papierschere, die er dem Herbertshöher Postbeamten für empörende eine Mark und fünfundachtzig Pfennige abgekauft hatte), die schon wieder etliche Zentimeter lang dergestalt von seinen Füßen nach vorne gewachsen waren, daß er sich bereits mehrmals an freiliegendem Wurzelwerk und größeren Muscheln gestoßen hatte, saß auf der kleinen Holztreppe, die hinauf zu seiner Veranda führte, und beobachtete freudig erregt die Verrenkungen der eingeborenen Männer, die sich schwitzend mühten, das Klavier trockenen Fußes von der kleinen Dampfbarkasse auf zwei Kanus zu hieven, um es anschließend am Strande seiner Bucht anzulanden. Zwar stellten sie sich recht geschickt an, doch war das Gewicht des Instruments für die Kanus zu groß, so daß die dümpelnden Boote fast zu kentern drohten. Unter den Männern stand gestikulierend Max Lützow, den Oberkörper frei, der Kopf hochrot, und dirigierte den komödiantisch anzusehenden Verlauf der Klavierentladung.
    Während sich Engelhardt mit der Schere schnell noch über den mittleren Zeh seines linken Fußes hermachte (seine Fingernägel knabberte er ab, dies war mitunter das einzige tierische Eiweiß, das er zu sich nahm, und wir würden ihm diese kleine Form der Auto-Anthropophagie ruhig nachsehen und vor allem unerwähnt lassen, wenn sie nicht eine gewisse Symbolhaftigkeit frühzeitig zum Ausdruck brächte), zogen und schleppten die Männer das Klavier, dessen Füße sich nun in den nassen Sand eingruben, endlich an den Strand hinauf und hinterließen in demselben tiefe Furchen, die Engelhardt an die Spur einer Riesenschildkröte erinnerten, die zum Eierlegen das schützende Meer verläßt.
    Er verwarf diesen Gedanken, der ihm im Augenblick des Denkens sonderbar unanständig erschien, legte die teure Schere an den äußeren Rand der mit Muscheln und Treibholz geschmückten Veranda, bedeckte seinen Unterleib mit dem Lendentuch, das ihm zuvor als Auffangfläche für die abgeschnittenen Fußnägel gedient hatte (die wohl aus

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