Imperium
begleitenden Gesumme Hunderter Zikaden, begonnen, die Lützowschen Handbewegungen auf der Tastatur (die man mit Kohlestückchen und Kalkpaste abwechselnd schwarz und weiß bemalt hatte) theatralisch nachzuahmen und dabei inbrünstig, durchaus melodiös und gleichsam gänzlich improvisiert zu singen.
In diesen Tagen berichtete er aber auch von einem Loch im Urwald, einer mit angespitzten Bambuspfählen umkränzten, sechs Meter tiefen Grube, an deren Grund sich giftige Schlangen tummelten, Kobras und dergleichen, auch Vipern, auch eine uralte Todesotter wohne dort unten in der feuchten Dunkelheit. Seit Generationen sei das Loch an einer Stelle ausgehoben, der sich zu nähern dem Stamm tabu sei. Nur dem Häuptling und seinem Stellvertreter sowie einem in Zungen sprechenden Heiler sei es gestattet, an den Rand der Vertiefung zu treten und hineinzusehen. Ab und an, so Makeli, würfen sie ein Stück Borstenschwein hinein, ganz selten einen lebenden Hund.
Lützows zahllose Krankheiten indes waren wie von einer tropischen Brise weggepustet. Weder schmerzten ihm die Gelenke, noch verspürte er jenen aggressiven Druck hinter den Augen, der ihn jahrelang in Deutschland begleitet hatte und den er, resignierend, bereits als immerwährenden Teil seiner selbst begriffen hatte. Schnupfen und asthmatische Anfälle tauchten nicht wieder auf. Zwar vermochte er noch nicht, wie sein Gastgeber Engelhardt, gänzlich nackend umherzulaufen, aber er bestieg mindestens ebenso behende wie Makeli die Stämme der Palmen, um die Kokosfrüchte herunterzuholen - sie an Steinen aufzuschlagen und mittels des Kokosrisplers Schale von Fruchtfleisch zu trennen, war ihm tägliches Freudenwerk. Er verliebte sich derart in die Kokosnuß, daß er schon kurz nach seiner Ankunft begann, sich ausschließlich von ihr zu ernähren.
Engelhardt verspürte nur ein minimes Quentchen Neid - ach nein, er war ganz außerordentlich stolz auf seinen Neuzugang, und gemeinsam verfaßten sie nun Briefe an verschiedene vegetarische Zeitschriften in Deutschland, in denen sie von den Nüssen schwärmten: die morgens, kurz vor Sonnenaufgang genossene Frucht unterschied sich, so schrieben sie, geschmacklich derart von denjenigen, die nachmittags aufgeschlagen wurden, als habe man Äpfel und Bananen vor sich. Auch die Nüsse des Februars hatten mit jenen, die im April gepflückt wurden, absolut nichts gemein, genausogut könne man Weizenkleie und Sauerampfer miteinander vergleichen. Sie verstiegen sich in immer kompliziertere Lobeshymnen auf ihre Wahlnahrung, ja beendeten die Briefe mit dem Hinweis, man sei jetzt bereits soweit, die Milch und das Fleisch der Kokosnüsse synästhetisch zu schmecken: Einige Nüsse erinnerten sie an den festlichschwermütigen Klang der Symphonien Mahlers, andere an das gesamte blaue Farbspektrum, wiederum andere fühlten sich im Gaumen eckig an, herzförmig oder gar oktagonal.
Die einschlägigen Zeitungen in der Heimat druckten diese Briefe nur allzugern ab. Lützows Beschreibungen, man habe unter Palmen ein nacktes kommunistisches Utopia geschaffen, die scheinbare Libertinage aber unter die gütige Sittlichkeit der heilsam leuchtenden Tropensonne und der unvergleichlich wohlschmeckenden und praktischen Kokosnuß gestellt - und man solle nur rasch zu Besuche kommen, da man in Engelhardts Sonnenorden von jeglicher Zivilisationskrankheit geheilt werde -, zog gewisse Kreise magisch an. Die Berliner Illustrirte veröffentlichte unter der Überschrift Der Kokosnußapostel sogar eine Karikatur, die einen sehr muskulösen Engelhardt nur mit einem Palmwedel bekleidet zeigte, ein Szepter in der einen Hand, in der anderen einen Reichsapfel in Form einer Kokosnuß, ihm zu Füßen ihn anbetende, europäisch gekleidete Schwarze. Die Briefe des berühmten Musikers, die in Der Naturarzt und in Die vegetarische Warte erschienen waren, wurden nachgedruckt, allerdings mit einleitenden Kommentaren, in denen verlautbar t wurde, der allseits bekannte Berliner Musiker Max Lützow sei inzwischen endgültig verrückt geworden und einem Spinner in die Südsee gefolgt, und nachfolgend stehe, bitte sehr, der briefliche Beweis.
Nach Lektüre dieser Gratiswerbung setzten sich nun etliche Heilssucher in Bewegung Richtung Deutsch Neu Guinea, Schiffspassagen wurden gebucht, Engelhardts Schrift Eine sorgenfreie Zukunft erlebte ein, zwei, sogar drei unerwartete Neuauflagen, und diverse Kolonialwarenhändler in der Heimat wurden angehalten, doch bitte frische Kokosnüsse in ihr
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