Imperium
Sortiment aufzunehmen. Kurze Zeit geisterte auch ein Gassenhauer durch Berlin, in dem eine pfiffige Melodie von witzigem Text begleitet wurde - Kinder und Jugendliche sangen den von Kokosnüssen, Menschenfressern und nackten Deutschen handelnden Schlager auf den Schulhöfen der Hauptstadt nach, bis man schließlich selbst in den Straßenbahnen, vor den Opernhäusern und in den Empfangshallen der Ministerien vor dem penetrant eingängigen Liedchen nicht mehr sicher war. Aber der Spuk verschwand ebenso schnell wie er gekommen war, zu rasch drehte sich das Karussell der Moden, und cocos nucifera wurde abgelöst von dem rückhaltlosen Konsum von Kokain; eine Saison später wiederum war aufgepusteter Puffmais der letzte Schrei, Popcorn genannt. Nun waren aber andererseits die Besucher schon unterwegs ins pazifische Schutzgebiet und, aus dem jeweiligen Reichspostschiff ausgespuckt und in Rabaul angelandet, mehr oder minder mittellos zugegen.
Hoteldirektor Hellwig schickte die auf preiswerte Unterbringung Hoffenden hinüber zum Hotel Deutscher Hof, dessen Direktor seinerseits, ein schon frühmorgens um acht stark alkoholisierter Elsässer, sie schnurstracks, einen geladenen Revolver in der Hand, retour Richtung Hellwig sandte. Und so kampierte die wunderliche, halbnackte Schar, die gar nicht begriffen hatte, daß Rabaul mitnichten Kabakon war, auf den Wiesen des Städtchens und am Strande der Blanchebucht. Unter Segelplanen, die man zwischen Palmen aufgehängt hatte, schliefen sie, lediglich mit Tüchern bedeckt, schutzlos vor den vom süßen Europäerblut rasend wirbelnden Mückenschwärmen. Das Fieber stürzte sich auf sie, nach einem Monat ging der kleinen Klinik das Chininpulver aus, im zweiten Monat starb der erste Besucher, ohne daß er Kabakon je zu Gesicht bekommen hätte. Er wurde neben Heinrich Aueckens beerdigt, dessen schmuckloses, einfaches Grab sich niemand die Mühe gemacht hatte, mit frischen Blumen zu verschönern. Und mit jedem Dampfer kamen ein, zwei neue Ahnungslose und gesellten sich dazu, so daß bald an die zwei Dutzend junge Deutsche in ärgster Armut am Rand des Städtchens hausten.
Gouverneur Hahl, inzwischen vollständig vom Schwarzwasserfieber geheilt, in die neue Hauptstadt Rabaul zurückgekehrt und besorgt, unter seiner Verantwortlichkeit entstünde ein neues, von Deutschen bevölkertes Armutsviertel, spazierte mit den Medizinern Wind und Hagen hinunter zu den Neuankömmlingen (die Wiese war zugunsten der von einer leichten Seebrise umwehten Lagerstelle am Strand aufgegeben worden), um sich einmal ernsthaft mit ihnen zu unterhalten. Dort, im bei Ebbe morastigen Sandschlamm, zwischen Taschenkrebsen und Mangroven, bot sich den Ärzten und dem Gouverneur ein erschreckendes, archaisches, fast heidnisch anmutendes Bild; die stark abgemagerten jungen Leute lungerten apathisch im Schatten löchriger Segelplanen, deren Enden hin und her wehten; einige waren splitternackt; es roch dumpf nach menschlichem Kot, der von der täglichen Flut nicht vollends wieder hinaus ins Meer getragen worden war; andere waren über der Lektüre von anarchistischen Traktaten entkräftet eingeschlafen; wieder andere löffelten sich aus einer halbierten Kokosnuß weißes, glibberiges Fruchtfleisch in die bärtig umrandeten Münder.
Die Repräsentanten der Zivilisation standen staunend in hellem Anzug unter ihnen. Hahl, der sich einer gewissen intellektuellen Sympathie den jungen Leuten gegenüber nicht erwehren konnte (er hatte auf der Rückfahrt von Singapore neben einem französisch-sprachigen Gedichtband Mallarmes und den Noten einiger Bach-Kantaten Engelhardts Eine sorgenfreie Zukunft verinner licht), wies die Mediziner sofort an, sich der schlimmsten Fälle anzunehmen, sie mit Süßwasser waschen zu lassen und in die kleine Klinik einzuweisen. So dort keine Betten mehr frei waren, solle man für den Rest des traurigen Haufens in den beiden ohnehin unbelegten Hotels Räume requirieren. Und so geschah es, daß Hoteldirektor Hellwig sich außerstande sah, Gouverneur Hahl die Bitte (die auch eher das imperative Gewand einer Anordnung trug) abzuschlagen, ein gutes Dutzend der Tunichtgute in den peinlich sauber gehaltenen Räumen des Hotels Fürst Bismarck einzuquartieren, und fluchend gestand er sich dabei ein, daß, hätte er die Bande bereits vor zwei Monaten aufgenommen, sie dann wenigstens noch nicht krank und schmutzig gewesen wäre. Als hernach der Rest der jungen Leute im konkurrierenden Hotel Deutscher Hof
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