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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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Mioko verkehrte, und während die letzten Wolken der schwindenden Nacht unter der Morgensonne verdampften, bestieg Lützow, die ihm am Vorabend spendierten Liköre austranspirierend, das eigens gemietete Schiff und fuhr mit verkatertem Nervenkostüm und zitternder Hand an dem wacklig vertäuten Klavier, das er Engelhardt als Morgengabe zu überreichen gedachte, hinüber nach Kabakon.
    Nun begann tatsächlich eine Reihe unbeschwerter, glücklicher Tage. Lützow, der stets eine Stimmgabel im Gepäck mitführte, machte sich sofort an die Aufgabe, das Klavier, das von den Eingeborenen ins Bücherzimmer bugsiert worden war (man hatte kurzerhand eine hölzerne Seitenwand des Hauses entfernt und sie anschließend wieder an die Eckpfosten des Hauses angenagelt), von den jahrelang aus ihm dringenden Mißtönen zu befreien, indem er, auf seiner Gabel das reine A anschlagend und sich tief hinab in das Innere der Apparatur beugend, damit begann, den Heilungsprozeß des Instrumentes einzuleiten - er empfand ein verstimmtes Klavier wie ein Maler, auf dessen Palette die Farben Rot und Blau fehlten.
    Engelhardt, der, nackend auf der Veranda liegend, seine täglichen Sonnenbäder genoß, hörte lächelnd im Hause die probehalber angeschlagenen Töne und den dabei munter pfeifenden Lützow. Er verspürte eine tiefe Hochachtung vor Künstlern und ihren Fähigkeiten, fast grenzte es ihm an Neid, daß er weder das Talent noch die Disziplin aufbringen konnte, so etwas wie wirkliche Kunst zu schaffen. Während er die Augen zukniff und dabei den Horizont anvisierte, dachte er darüber nach, ob nicht sein Aufenthalt auf Kabakon eventuell auch als Kunstwerk angesehen werden könne. Unversehens erschien ihm der Gedanke, daß er möglicherweise selbst sein eigenes künstlerisches Artefakt sei und daß vielleicht die Gemälde und Skulpturen, die man in Museen ausstellte, oder die Aufführungen berühmter Opern von einem völlig veralteten Kunstbegriff ausgingen, ja daß lediglich durch seine, Engelhardts, Existenz die Kluft zwischen Kunst und Leben aufgehoben wurde. Er lächelte erneut, diesen köstlichen, solipsistischen Einfall in eine geheime und abgelegene Ecke seines Gedankengebäudes entsendend, setzte sich auf, öffnete eine Kokosnuß und inspizierte dabei die Wunden an seinen Beinen, die sich in den letzten Wochen nässend weiter vergrößert hatten. Rote Flecken waren mäandernd daneben erschienen, die sich bei Berührung taub anfühlten. Die fraglichen Stellen zuerst mit Kokosmilch, später mit Salzwasser, dann mit einer Jodtinktur betupfend, vergaß er sie alsbald wieder.
    Engelhardt und Lützow, die schnell zueinander eine innige Seelenverwandtschaft verspürten, ohne darüber zu sprechen, erkundeten gemeinsam das Eiland, besuchten die Dörfer der Insulaner und nahmen dort als Ehrengäste an allerhand Festivitäten und Tanzdarbietungen teil. Einem Häuptling und seinen Kindern wurde im Gegenzug gestattet, die beiden Deutschen in ihrem Haus zu besuchen (denn Engelhardt hatte bestimmt, daß Lützow sofort zu ihm ziehen und nicht erst, wie der unglückliche Aueckens, eine Probezeit in der Basthütte absolvieren solle) und dort, unter dem wachen Blick des jungen Makeli, dem Klavierspiel beizuwohnen, mit dem der Neuzugang die Anwesenden erfreute.
    Andächtig wurden Lützows schmale Hände beobachtet, die auf den elfenbeinernen, rissigen Tasten hin und her tanzten und dem nun vorzüglich gestimmten Instrument die herrlichsten Tonkaskaden zu entlocken wußten. Der Häuptling ließ es sich nicht nehmen, während des Vortrags selbst ans Klavier zu treten und mit dem kleinen Finger (denn dieser erschien ihm am elegantesten) einzelne Tasten niederzudrücken, deren Klang allerdings im Gesamtgefüge derjenigen Kompositionen, die Lützow vorzutragen sich entschieden hatte, für erhebliche Dissonanz sorgte. Aber es war ihnen einerlei! Sie lachten und freuten sich, nicht in Rabaul zu sein, sondern unter Menschen, deren ungeschulte Ohren Liszt zwar nicht von Satie unterscheiden konnten, die aber gleichwohl die Musik als etwas ganz und gar Außerordentliches empfanden.
    Makeli, dessen Deutschkenntnisse ungewöhnliche Fortschritte machten (Engelhardt las nun allabendlich aus Büchners Lenz vor, hernach aus Kellers Grünem Heinrich), berichtete ihnen, der Häuptling habe drüben in seinem Dorf angeordnet, ihm ein Klavier aus Bast in Originalgröße nachzubauen, und er habe daselbst auf dem Dorfplatz, unter dem nächtlichen Sternenhimmel und dem

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