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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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blauschwarz glänzenden, muskulösen Oberkörper freilegend - empfing das in seinen hünenhaften Händen verschwindend zart und dünn wirkende Bambusrohr vom weißen Polizeimeister. Nun klatschten die Pflanzer feixend in die Hände, die Kinder pfiffen auf den Fingern, und während sich Engelhardt und Lützow abwendeten, schlug der Riese das biegsame Rohr mit unvorstellbarer Wucht auf den nackten Rücken des am Bock Festgebundenen.
    Lützow berührte seinen ob der Hiebe zusammenzuckenden Freund sanft am Ellenbogen, schon betraten sie das schattige Refugium der Gouverneursveranda, auf der Hahl breitbeinig wippend stand, von Ferne die Strafaktion beobachtend, die Daumen links und rechts im Hosenbund. Man stellte sich gegenseitig vor, und der Gouverneur ergriff Engelhardts Hände und schüttelte sie über die Maßen. Man solle ihm bitte nach drinnen folgen, sagte Hahl, und es schien, als freue er sich aufrichtig, die beiden zu sehen; im Inneren des Salons war es herrlich kühl, Engelhardt zählte acht moderne elektrische Deckenventilatoren.
    Ein Dieb sei das da draußen gewesen, man müsse wohl hart durchgreifen, obwohl es ihm überhaupt nicht behage, er wolle die Kolonie anders führen als beispielsweise seine Kollegen in Deutsch-Südwest oder im Kamerunischen, man müsse versuchen, die Eingeborenen in die deutsche, aufrichtig moralische Gesetzbarkeit einzubinden, die ja duchaus eine hochsittliche, faire Instanz sei und nicht, wie beispielsweise in den französischen oder niederländischen Gebieten (von den belgischen gar nicht zu sprechen) lediglich Tünche, um die Aufrechterhaltung einer modernen Form der Sklaverei, sprich wirtschaftlicher Ausbeutung, bei maximalem Profit und minimaler Menschlichkeit zu kaschieren.
    Während dieser Ausführungen, denen die beiden, doch recht erstaunt ob des beinahe sozialistischen Ansatzes des Gouverneurs, nickend lauschten, brachte ein chinesischer Steward Fruchtsäfte auf einem Silbertablett, und ein hellblau leuchtender Kolibri verirrte sich, halbherzig die Saftgläser anvisierend, in den Salon und navigierte geschickt zwischen den surrenden Klingen der Deckenventilatoren, um wenige Augenblicke später durch die offene Vorderfront der Residenz wieder ins Freie zu fliegen. Hahl machte sich rasch eine mentale Notiz, später eine neue Akte in seinem Zettelkasten anzulegen, in der er über die Problematik einer Herbeiführung des Schwebeflugs theoretisieren würde - ob man denn wohl imstande sei, ein Flugobjekt zu konstruieren, das sich, dem Kolibri nachempfunden, an Ort und Stelle schwebend im Räume halten könne; der bunte Vogel sei ja, so dachte Hahl, während er mit den beiden Sonderlingen plauderte, sozusagen ein unfreiwilliges Perpetuum mobile der Natur; der Kolibri verbrauche Unmengen Energie in Form von süßem Fruchtzucker, um sich schwebend an den Blütenkelchen zu laben, die ihm wiederum überhaupt nur erlaubten, sich so schwebend von ihnen zu nähren; ergo müsse man, wolle man ein technisches Objekt bauen, das in der Luft verharren könne, die Energiezufuhr quasi aus sich selbst garantieren - derlei privatgelehrte Untersuchungen beschäftigten Gouverneur Hahl nach Dienstende.
    Nun, den Grund seiner Bitte um Aufsuchung der Rabauler Residenz habe er ja schon in seinem Brief skizziert; es ginge, frei heraus gesagt, um die Schar meist jugendlicher Besucher, die Engelhardt durch seine Schriften ins Schutzgebiet gelockt habe. Nun träfe ihn natürlich - und an dieser Stelle sollte, so Hahl, einmal gesagt werden, daß er sich persönlich freue, daß nicht nur wirtschaftliche und missionarische Interessen in der Kolonie verfolgt würden, sondern auch die Erprobung eines durchaus interessanten philosophischen Experimentes - keine unmittelbare Haftbarkeit für die Handlungen seiner Leser, aber dennoch könne Engelhardt eine gewisse moralische Verantwortung nicht zurückweisen, gerade im Hinblick auf deren Gesundheit. Ein Unglücklicher sei bereits am Fieber verstorben (im Moment des Aussprechens regte sich in Hahl ein morphischer Phantomschmerz, ein subatomarer Erinnerungshauch seines Körpers an jene unlängst erlebte, destruktive Macht der Malaria), und man habe die Schar der völlig unbedarft und unvorbereitet Angereisten aus ihrem selbsterwählten, im Freien errichteten Lager, in dem es vor Krankheitserregern gewimmelt und vor Schmutz nur so gestarrt habe, in das kleine Spital und in die Hotellerien des Ortes verbracht.
    Aus Engelhardts Ohr tropfte es derweil warm, dann

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