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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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träufelte ein kleines heißes Bächlein herab, er drehte den Kopf zur Seite, um nachzusehen, was ihm da so unvermittelt auf die Schulter rann, sein Gewand war mit einem Mal ganz gelb befleckt von einer Ladung Ohrenschmalz, die sich fließend gelöst hatte. Welche erstaunliche, unkontrollierbare kindliche Menge! Er unterdrückte den Wunsch, mit dem Finger ins Ohr hineinzufahren und das Sekret probierend zum Munde zu führen, setzte sich statt dessen etwas seitwärts, so daß Hahl und Lützow die Flecken nicht sehen konnten, erhob das Glas mit dem Fruchtsaft, tat, als lausche er derart gebannt, daß er seinen leicht geöffneten Mund mit dem Glas verfehlte, und schüttete geschickt ein paar Kleckse Saft auf seine Schulter, so daß die Ohrenflüssigkeit nicht nur nicht mehr zu erkennen, sondern vom gleichfarbigen Getränk vollständig überdeckt wurde.
    Währenddessen (die letzten Schläge auf dem Rücken des vermeintlichen Diebes waren draußen auf dem Platz verklungen) hatte Hahl in einigem Detail die Schriften des französischen Denkers Charles Fourier erwähnt und Engelhardt eine Serviette gereicht, mit der er sich theatralisch übertrieben die Schulter abwischte, worauf Lützow, der zwar Fourier nicht gelesen, dafür aber Proudhon (eine seiner Verflossenen war eine gestandene Bombenlegerin aus Dublin gewesen), bemerkte, der Sonnenorden sei ja durchaus ein Ort der Gesellschaftserneuerung und es sei ganz famos, daß der Gouverneur diesen nicht nur dulde, sondern ihn sozusagen moralisch und intellektuell unterstütze, da man ja, mit Verlaub, immer davon ausginge, daß eine oberste Staatsinstanz, wie Hahl sie hier darstelle, ein natürlicher Feind der Individualutopie sei. Die Freiheit sei zuvorderst ja Freiheit vom Eigentum, so lebe man auf Kabakon, und so gedenke man dort weiter zu leben. Engelhardt, dem nicht nur Lützows plötzlicher Vorstoß ins Politische peinlich war, sondern der auch innerlich darüber staunte, daß dieser sich nun vor Hahl zum Theoretiker seines, Engelhardts, Gedankengebäudes stilisierte, warf ein, daß Fourier ein notorischer Antisemit gewesen sei, daß er Kabakon rechtmäßig gekauft und sich mitnichten zur Anarchie bekenne und daß das von Fourier imaginierte Vhalanstere (Engelhardt war sich absolut sicher, daß Lützow den Begriff nicht kannte) Ausdruck einer philisterhaften, schäbigen und obendrein von obsessivem Sexualtrieb geleiteten Kleinbürgerutopie sei. Lützow sah seinen Freund an und verstummte augenblicklich, der Gouverneur, das kleine Scharmützel im Machtgefüge der Kokovorenbrüder im Zettelkasten seines Gehirns abspeichernd, klatschte in die Hände und meinte, es sei zwar überaus erbaulich, derartige Gespräche an einem so gottverlassenen Ort zu führen, aber man müsse jetzt, wenn die Herren erlaubten, zurück zur Realität finden, er habe diese Woche noch einen Ausbruch von Cholera in Kavieng und Ende des Monats einen gehörigen Stammeszwist (mit Toten) an der Astrolabebai zu betreuen, dann habe sich der berühmte amerikanische Schriftsteller Jack London zu Besuch angekündigt, hernach die deutschen Kunstmaler Nolde und Pechstein, und nun wolle man sich also bitte gemeinsam fragen, was denn mit den jungen Adepten geschehen solle, die der Ruf des Sonnenordens nach Rabaul gelockt habe.
    Man spazierte also gemeinsam hinüber zum Hotel Fürst Bismarck, holte unterwegs den Mediziner Wind hinzu und ließ sich von einem aufgebrachten Herrn Direktor Hellwig, der nun Engelhardt nicht mehr ganz so freundschaftlich gesinnt war, die Schar der Nachmittags- und Genesungsschlaf haltenden Neuankömmlinge zeigen. Hahl verschränkte die Arme über der breiten Brust, als wolle er sich vorerst nicht zu der ganzen Chose äußern. Dr. Wind stellte sich dem Kokovorismus gegenüber als recht feindlich gesinnt heraus, er beugte sich über die in die Gänge hinausgeschobenen Hotelbetten mit den vor sich hin Dösenden, zog hier und da ein Augenlid herauf und kommentierte flüsternd, wie wahrlich schadhaft es für den menschlichen Organismus sei, ausschließlich von einem Nährstoff zu leben. Ja, die Wunden zum Beispiel, dort an Herrn Engelhardts Beinen, die inzwischen mit Eiter überzogen waren, könnten nicht nur aufgrund der tropisch bedingten Feuchtigkeit nicht sauber abheilen, sondern seien gerade durch die ausgesprochene Mangelernährung erst entstanden. Mit Verlaub, das sei doch Unsinn, entgegnete Lützow mit lauter Stimme, denn es sei doch an ihm für jedermann ersichtlich, daß gerade

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