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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Geistesabwesend suchte er ein paar Namen aus, zu denen auch Hybrida gehörte, aber dann sagte er plötzlich: »Hol Sositheus, er soll hier weitermachen. Für dich habe ich eine andere Aufgabe. Geh ins Staatsarchiv, und schau dir die Annalen für das Konsulatsjahr von Mucius Scaevola und Calpurnius Piso Frugi an. Schreib alles auf, was mit Tiberius Gracchus ' Volkstribunat und seinem Ackergesetz in Zusammenhang steht. Sag keinem ein Wort. Wenn dich jemand fragt, erzähl ihm irgendwas. Alles klar?« Zum ersten Mal seit einer Woche lächelte er, dann fuchtelte er mit den Händen herum, dass ich endlich verschwinden solle. »Komm schon, setz dich in Bewegung!«
    Nach so vielen Jahren in seinen Diensten hatte ich mich an diese Art verwirrender und herrischer Befehle gewöhnt. Ich vermummte mich gegen die Kälte und Nässe und lief den Hügel hinunter. Noch nie hatte ich die Stadt in einer derart schweren Krise erlebt - unter dunklen Wolken herrschte ein eiskalter Winter, Lebensmittel waren knapp, an jeder Ecke lief man Bettlern über den Weg, manchmal stolperte man sogar über die Leiche eines armes Teufels, der in der Nacht zuvor gestorben war. Ich hastete durch die trübseligen Straßen, dann über das Forum und schließlich die Stufen zum Staatsarchiv hinauf, in dem ich schon die spärlichen offiziellen Unterlagen über Gaius Verres aufgestöbert hatte. Seitdem hatten mich - vor allem während Ciceros Amtszeit als Ädil - viele Botengänge hierher geführt, sodass mein Gesicht den Angestellten dort vertraut war. Anstandslos brachten sie mir die Papyrusrolle, die ich haben wollte. Ich trug sie zu einem Lesetisch am Fenster und entrollte sie. Das Morgenlicht war trübe, und es zog so stark, dass ich meine Handschuhe anbehielt. Ich hatte keine Ahnung, wonach ich überhaupt suchte. Die Annalen lieferten - zumindest in den Zeiten, bevor Caesar sie in die Finger bekam - einen zuverlässigen und vollständigen Bericht über jedes Jahr. Sie verzeichneten die Namen der Magistrate, die neuen Gesetze, die Kriege und Hungersnöte, die Sonnen- und Mondfinsternisse sowie alle anderen Naturereignisse. Die Angaben folgten dem offiziellen Register, das der Pontifex maximus jedes Jahr erstellte und an eine weiße Tafel am Amtssitz des Priesterkollegiums anschlagen ließ.
    Geschichte hat mich schon immer fasziniert. Cicero schrieb einmal: »Wer nicht weiß, was vor seiner Geburt geschehen ist, wird auf immer ein Kind bleiben. Was ist das menschliche Leben wert, wenn es nicht durch die Zeugnisse der Geschichte mit dem unserer Ahnen verwoben wird?« Ich spürte plötzlich die Kälte nicht mehr und hätte mich glücklich den ganzen Tag in die Ereignisse vertiefen können, die sich vor mehr als sechzig Jahren zugetragen hatten. Ich fand heraus, dass in jenem Jahr, dem sechshunderteinundzwanzigsten seit der Gründung Roms, König Attalos III. von Pergamon gestorben war und sein Reich den Römern vermacht hatte, dass Scipio Africanus der Jüngere die spanische Stadt Numantia zerstört und bis auf fünfzig, die in Ketten gelegt an seinem Triumph in Rom teilnehmen mussten, alle fünftausend Einwohner getötet hatte und dass Tiberius Gracchus, der berühmte reformerische Volkstribun, ein Gesetz eingebracht hatte, das die Verteilung von öffentlichem Land an gewöhnliche Bürger vorsah, die damals - wie immer - große Not gelitten hatten. Es ändert sich nie etwas, dachte ich. Gracchus ' Gesetz versetzte die um ihre Besitzungen fürchtenden Aristokraten im Senat so in Wut, dass diese einen Volkstribun namens Marcus Octavius dazu überredeten oder mittels Bestechung dazu brachten, sein Veto gegen das Gesetz einzulegen. Da das Volk das Gesetz jedoch einmütig befürwortete, argumentierte Gracchus auf der Rostra, verletze Octavius seine heilige Pflicht, die Interessen des Volkes zu vertreten. Er forderte das Volk auf, Octavius abzuwählen - was das Volk sofort in die Tat umsetzte, Wahlbezirk für Wahlbezirk. Nachdem sich die ersten siebzehn der fünfunddreißig Bezirke mit überwältigender Mehrheit für Octavius ' Amtsenthebung ausgesprochen hatten, unterbrach Gracchus die Abstimmung und forderte Octavius auf, sein Veto zurückzuziehen. Dieser lehnte ab, worauf Gracchus »die Götter als Zeugen anrief, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, seinen Kollegen aus dem Amt zu entfernen«, dann den achtzehnten Bezirk abstimmen ließ und wieder die Mehrheit erzielte. Daraufhin wurde Octavius als Volkstribun abgesetzt (»… zurückgestuft auf den Status

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