Imperium
Kandidaten, Tiro. Wir müssen unbedingt einen glaubwürdigen Mann finden, der mit mir zusammen ins Rennen geht - und zwar schnell.«
In jenen Tagen stellten sich Kandidaten für das Konsulat in der Regel als Pärchen dem Wähler. Man betrachtete es als gute Strategie, ein Bündnis mit einem Mann einzugehen, der im Wahlkampf die eigenen Stärken abrundete. Cicero brauchte als Partner einen Mann mit hochangesehenem Namen und großer Zugkraft innerhalb der Aristokratie, damit er auch die aristokratischen Wähler ansprechen konnte. Als Gegenleistung konnte Cicero seine Popularität unter den pedarii und den unteren Schichten bieten sowie die Unterstützung durch den Wahlkampfapparat, den er sich in Rom geschaffen hatte. Er hatte immer gedacht, dass zu gegebener Zeit der zweite Mann kein großes Problem darstellen würde. Als wir jedoch die Liste durchgingen, begriff ich, warum er so besorgt war. Palicanus würde Ciceros Bewerbung nichts Brauchbares hinzufügen. Cornificius war Gift an der Wahlurne, und Hybrida war nur halb zurechnungsfähig. Blieben nur Galba und Gallus. Galba war ein Aristokrat bis ins Mark, er würde sich unter keinen Umständen mit Cicero einlassen, und Gallus hatte trotz aller Bitten Ciceros definitiv erklärt, dass er nicht das geringste Interesse daran habe, Konsul zu werden.
»Ist das zu fassen?«, jammerte Cicero, während wir uns um sein Schreibpult drängten und die Liste der möglichen Mitkandidaten studierten. »Da biete ich Gallus den besten Posten der Welt an, und zum Dank dafür erklärt er sich dazu bereit, dass er mir vielleicht den einen oder anderen Tag beistehen würde. Er wolle sich lieber auf die Juristerei konzentrieren!« Cicero nahm seinen Stift, strich Gallus ' Namen durch und setzte unten auf die Liste den von Catilina. Träge klopfte er mit dem Stift auf das Verzeichnis, unterstrich den Namen, machte einen Kreis darum, hob dann den Kopf und schaute uns der Reihe nach an. »Einen möglichen Partner, vom dem wir noch gar nicht gesprochen haben, gibt es natürlich noch.«
»Und der wäre?«, fragte Quintus.
»Catilina.«
»Marcus!«
»Das ist mein voller Ernst«, sagte Cicero. »Denken wir das einmal durch. Nur mal angenommen, ich würde, anstatt zu versuchen, Clodius die Anklage abzujagen, Catilina anbieten, seine Verteidigung zu übernehmen. Wenn ich einen Freispruch erreichen kann, dann wäre er verpflichtet, mich bei den Konsulatswahlen zu unterstützen. Falls er aber schuldig gesprochen wird und ins Exil gehen muss, dann ist das sein Ende. Also … mit beidem könnte ich gut leben.«
»Du würdest tatsächlich Catilina verteidigen?« Quintus kannte seinen Bruder sehr gut. Der musste sich schon einiges leisten, bevor Quintus schockiert war. An diesem Tag aber war er fast sprachlos.
»Wenn er einen Anwalt nötig hätte, würde ich sogar den schwärzesten Dämon aus der Unterwelt verteidigen. Das ist der Kern unseres Rechtssystems.« Cicero runzelte die Stirn und schüttelte gereizt den Kopf. »Das haben wir doch alles schon durchgekaut, weißt du nicht mehr, kurz vor Lucius ' Tod? Erspar mir bitte diesen vorwurfsvollen Blick, Bruderherz. Was steht in deinem schlauen Buch? Ich bin ein homo novus, ich bin in Rom, ich will das Konsulat. Genau die drei Punkte sagen doch alles. Ich bin ein homo novus, deshalb können nur ich selbst und ihr paar Freunde mir helfen. Wir sind in Rom und nicht an irgendeinem abstrakten Ort in einem philosophischen Werk. Rom ist eine ruhmreiche Stadt, die auf einem Haufen Dreck erbaut ist. Und ich will das Amt, das Unsterblichkeit bedeutet, das Konsulat. Gibt es einen besseren Grund zu kämpfen? Meine Antwort lautet: ja, ich werde Catilina verteidigen, wenn nötig, und dann werde ich so schnell wie möglich wieder mit ihm brechen. Und er wird genau das Gleiche machen. Das ist die Welt, in der wir leben.« Cicero lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und hob beide Hände. »Das ist Rom.«
Cicero unternahm nicht sofort etwas, er wollte abwarten, ob die Anklage gegen Catilina tatsächlich vorangetrieben wurde. Viele waren der Ansicht, dass Clodius sich nur wichtig machen oder von der Schande der Scheidung seiner Schwester ablenken wollte. Aber der Sommer brach an, und schwerfällig, wie die Justiz nun einmal war, durchlief das Verfahren seine verschiedenen Stadien, postulatio, divinatio, nominas dilatio, bis schließlich die Geschworenen ausgewählt wurden und der Beginn des Prozesses auf die letzte Juliwoche festgesetzt wurde. Damit gab
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