Imperium
Aber natürlich war er, wie sich erweisen sollte, schlauer als ich.
Ein paar Tage später brachen wir wieder auf. Über unbefestigte Wege holperte unser Wagen von Lilybaeum zur Tempelstadt Agrigent und von dort in das gebirgige Inselinnere. Die Landschaft und der Himmel in diesem ungewöhnlich strengen Winter waren stahlgrau. Cicero hatte sich eine schlimme Erkältung eingefangen und saß eingewickelt in seinen Umhang hinten im Wagen. In Henna, einer Stadt, die sich an eine steile Felswand schmiegte und von Seen und Wäldern umgeben war, kamen uns die wehklagenden Priester zur Begrüßung entgegen. Sie waren in reich verzierte Gewänder gehüllt und trugen geweihte Zweige und führten uns gleich zum Tempel der Ceres, aus dem Verres die Statue der gleichnamigen Göttin geraubt hatte. Hier kam es zu ersten kleineren Reibereien zwischen unserer Eskorte und den Liktoren des neuen Statthalters Lucius Metellus. Diese brutalen Kerle mit ihren Ruten und Beilen standen auf der anderen Seite des Marktplatzes und brüllten Drohungen, dass jeder, der es wagen sollte, gegen Verres auszusagen, aufs Härteste bestraft würde. Trotzdem konnte Cicero drei prominente Bürger Hennas - Theodorus, Numenius und Nicasio - dazu überreden, die Reise nach Rom auf sich zu nehmen, um dort auszusagen.
Schließlich wandten wir uns wieder dem Meer zu und führen nach Südosten in die fruchtbaren Ebenen unterhalb des Aetna. Das Land dort befand sich in Staatsbesitz und wurde im Auftrag der römischen Staatskasse von einer Privatfirma verwaltet, die die Steuern eintrieb und dafür als Gegenleistung Pachtverträge an einheimische Bauern vergab. Bei Ciceros erstem Aufenthalt in Sizilien waren die Ebenen von Leontini die Kornkammer Roms gewesen. Jetzt führen wir an verlassenen Höfen und grauen, brachliegenden Feldern vorbei. Braune Rauchsäulen markierten die Stellen, wo ehemalige, jetzt obdachlose Pachtbauern unter freiem Himmel lebten. Verres und die mit ihm befreundeten Steuerpächter waren wie eine plündernde Armee über die gesamte Region ausgeschwärmt, hatten die Ernten und das Vieh für einen Bruchteil ihres Wertes requiriert und Pachtsätze erhoben, die die Grenze dessen, was die meisten zahlen konnten, weit überschritten. Ein Bauer, Nymphodorus aus Centuripae, hatte zu protestieren gewagt. Dafür wurde er von Apronius, der für Verres bei den Bauern den Zehnten eintrieb, auf dem Markplatz von Aetna an einem Olivenbaum aufgehängt. Solche Geschichten versetzten Cicero in Wut und ließen ihn nur noch hartnäckiger arbeiten. Ich denke immer noch gern an die Szene zurück, als dieser städtischste aller Stadtmenschen mit geraffter Toga, die feinen roten Schuhe in der einen, die Vollmacht in der anderen Hand, bei strömendem Regen mit zögerlichen Schritten durch ein schlammiges Feld stakste, um die Aussage eines pflügenden Bauern einzuholen. Als wir schließlich nach dreißig beschwerlichen Tagen, in denen wir quer durch die ganze Provinz gereist waren, in Syrakus eintrafen, hatten wir die Aussagen von fast zweihundert Zeugen.
Syrakus ist die bei weitem größte und angenehmste Stadt Siziliens. Eigentlich sind es vier Städte, die zu einer einzigen verschmolzen sind. Drei davon - Achradina, Tycha und Neapolis - gruppieren sich um den Hafen herum. Die vierte, der alte Königssitz, befindet sich mitten in der großen Bucht und wird einfach nur »die Insel« genannt. Sie ist mit den drei anderen Stadtteilen durch eine Brücke verbunden. In dieser Stadt in der Stadt, die von einer Mauer umschlossen ist und bei Nacht von Siziliern nicht betreten werden darf, befindet sich in unmittelbarer Nähe der großartigen Tempel der Diana und der Minerva der Palast des römischen Statthalters. Da es hieß, Syrakus rangiere in ihrer Loyalität zu Verres gleich hinter Massana und ihr Senat hätte ihm erst vor kurzem eine Lobpreisung gewidmet, hatten wir mit einem feindseligen Empfang gerechnet. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Kunde von Ciceros Redlichkeit und Eifer war uns vorausgeeilt, und so wurden wir von einer jubelnden Menge durch das Agrigentinische Tor in die Stadt geleitet. (Ein Grund für Ciceros Popularität war, dass er während seiner Zeit als Quästor auf dem überwucherten städtischen Friedhof das seit einhundertdreißig Jahren verschollene Grab des Mathematikers Archimedes, des bedeutendsten Mannes in der Geschichte von Syrakus, ausfindig gemacht hatte. Er hatte irgendwo gelesen, dass das Grab mit einem Zylinder und einer Kugel
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