Imperium
Zunge zergehen. »›Ich bin ein Bürger Roms‹ … Was hat man ihm vorgeworfen?«
»Spionage«, sagte unser Gastgeber. »Er wollte gerade auf ein Schiff Richtung Festland. Aber er hat einen Fehler gemacht: Er hat überall herumerzählt, dass er aus den Steinbrüchen von Syrakus geflohen sei und dass er jetzt auf direktem Weg nach Rom fahre und Verres ' Verbrechen an die Öffentlichkeit bringen werde. Die Stadtväter von Messana haben ihn eingesperrt, bis Verres wieder in der Stadt war. Verres hat ihn auspeitschen, mit heißen Eisen foltern und ans Kreuz schlagen lassen - mit Blick auf Regium, damit er im Todeskampf das Festland sehen konnte. Stellt euch das vor, fünf Meilen vom sicheren Festland entfernt! Verres ' Nachfolger haben das Kreuz stehen lassen, als Warnung für jeden, der versucht sein sollte, den Mund zu weit aufzumachen.«
»Gibt es Zeugen für die Kreuzigung?«
»Sicher. Hunderte.«
»Auch römische Bürger?«
»Ja.«
»Hast du welche erkannt?«
Er zögerte. »Gaius Numitorius, ein römischer Ritter aus Puteoli. Dann die Cottius-Brüder aus Tauromenium. Lucceius … aus Regium. Es gibt sicher noch mehr.«
Ich notierte die Namen. Später nahm Cicero ein Bad, und wir saßen um die Wanne herum und besprachen die Entwicklung. »Vielleicht war dieser Gavius wirklich ein Spion«, sagte Lucius.
»Das würde ich eher glauben, wenn Verres gegen Sthenius nicht genau den gleichen Vorwurf erhoben hätte«, sagte Cicero. »Aber der ist genauso wenig ein Spion wie du oder ich. Nein, das ist einfach die bevorzugte Methode, nach der dieses Monster vorgeht: Er fingiert eine Anschuldigung, nutzt seine Stellung als oberster Richter der Provinz, um einen Prozess anzustrengen, und verkündet dann das Urteil. Die Frage ist: Warum gerade Gavius?«
Keiner wusste darauf eine Antwort. Und die Zeit, um in Messana zu bleiben und sie zu finden, hatte wir auch nicht. Wir mussten am nächsten Morgen in aller Frühe die Stadt verlassen, um in Tyndaris an der Nordküste der Insel unseren ersten offiziellen Termin wahrzunehmen. So wie dieser Besuch ablief, sollten noch viele andere ablaufen. Erst wurde Cicero vom Stadtrat mit allen Ehren empfangen, dann wurde er auf den Hauptplatz geführt. Man zeigte ihm die Standardversion der Verres-Statue, die die Bürger gezwungenermaßen auf ihre Kosten hatten aufstellen müssen und die jetzt zerstört im Staub lag. Dann hielt Cicero eine kurze Rede über die römische Rechtsprechung. Nachdem man einen Stuhl für ihn aufgestellt hatte, hörte er sich die Klagen der einheimischen Bevölkerung an und suchte die Fälle aus, die am aufsehenerregendsten oder am leichtesten zu beweisen waren - in Tyndaris war dies die Geschichte von Sopater, der so lange nackt an eine Statue gefesselt aushalten musste, bis die Stadt ihre Bronzestatute des Merkur herausgab. Der letzte Punkt war immer der, dass ich oder einer meiner beiden Assistenten die Aussagen aufnahmen und dann beglaubigen und unterschreiben ließen.
Von Tyndaris reisten wir nach Thermae, in die Heimatstadt von Sthenius, dessen Frau wir in seinem leeren Haus antrafen und die unter Tränen die Briefe ihres ins Exil gezwungenen Ehemannes entgegennahm. Zum Ende der Woche erreichten wir den Festungshafen Lilybaeum an der westlichsten Spitze der Insel. Cicero kannte die Stadt gut, während seiner Zeit als Quästor in Sizilien war dies sein Amtssitz gewesen. Wie früher schon des Öfteren wohnten wir im Haus seines alten Freundes Pamphilius. Am ersten Abend beim Essen bemerkte Cicero, dass der Tisch nicht wie sonst dekoriert war - der prächtige Krug und diverse Pokale, allesamt Familienerbstücke, fehlten. Als er fragte, was damit geschehen sei, sagte man ihm, dass Verres sie beschlagnahmt habe. Es stellte sich schnell heraus, dass den anderen Gästen Ähnliches widerfahren war. Dem jungen Gaius Cacurius war sein gesamtes Mobiliar abgepresst worden und Lutatius ein Tisch aus Zitrusholz, an dem Cicero regelmäßig gegessen hatte. Lyso war seine wertvolle Apollo-Statue und Diodorus ein Satz ziselierter Silberbecher von Mentor gestohlen worden. Die Liste war endlos, und ich muss es ja wissen, schließlich hatte Cicero mich beauftragt, alles festzuhalten. Nachdem ich die Aussagen aller Gäste und danach auch noch die ihrer Freunde aufgenommen hatte, beschlich mich der Gedanke, dass Cicero jetzt langsam nicht mehr recht bei Verstand sei. Wollte er etwa jeden Löffel und jedes Sahnetöpfchen, die man auf der Insel gestohlen hatte, katalogisieren?
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